Im September 2022 frage ich mich auf der kroatischen Insel Korčula: Wo wäre es schön, den Winter zu verbringen? Weil ich das milde Klima an der Adria genieße und keine Lust habe, allzu weit zu reisen, entscheide ich mich für Überwintern in Montenegro. Außerdem bricht eine Freundin ihre Zelte in Berlin ab, um in Herceg Novi einen Neustart zu wagen. Da könnte man gemeinsam was unternehmen, rechne ich mir aus und miete für November, Dezember und Januar hübsche Apartments.
In dem Augenblick kenne ich Montenegro noch gar nicht. Abgesehen von einem Tagesausflug nach Kotor und Budva im Sommer 2011 bin ich nie in diesem ex-jugoslawischen Land südöstlich von Kroatien gewesen. Meine Eindrücke während der Stippvisite mit Gruppe, Ex-Freund und Reisebus waren also nur kurz und oberflächlich. Das möchte ich ändern.
Einfach mal raus aus der EU
Mein Winter-Aufenthalt führt mich raus aus der Europäischen Union. Das bedeutet, dass ich ohne Aufenthaltsgenehmigung und Wohnsitz offiziell drei Monate in dem Nicht-EU-Land Montenegro bleiben darf und pro Tag einen Euro Tourismusabgaben zahlen muss.
Zur Kasse gebeten wird man auch beim Empfang von Paketen aus der EU. Zweimal kostet es mich wegen der vorherrschenden Zollbestimmungen vier Euro, Paketsendungen entgegenzunehmen. Wenn man sich allerdings mit seinem Business registriert und einen Wohnsitz anmeldet, kommt man in den Genuss von vergleichsweise niedrigen Steuersätzen. Im Gegensatz zu manch anderem Auswanderer habe ich aktuell keine Ambitionen, mich festzulegen und deshalb bleibt es beim Überwintern in Montenegro – zumindest bis Ende Januar 2023.
Überwintern in Montenegro: drei Stationen
Nachdem ich am 31. Oktober 2022 in Budva angekommen bin, werde ich vor meiner Rückkehr nach Kroatien noch zweimal umziehen – zuerst nach Herceg Novi und dann nach Kotor. In allen drei Orten schreibt mein Leben wieder unterschiedliche Kapitel und alle drei erscheinen mir in der Rückschau wie abendfüllende Filme.
Abgef*cktes Budva
Ziemlich schnell nach meiner Anreise wird klar: Diese stetig wachsende Betonburgen-Stadt Budva ist sowas von dreckig und abgef*ckt! An der kilometerlangen Strandpromenade habe ich keine Lust, im Meer zu baden, denn Plastikmüll im Wasser und im Sand ist ein echtes Problem. Kein Wunder: Sobald man in Budva Lebensmittel kauft, werden alle Produkte sofort ungefragt in Plastiktüten gepackt. Es sei denn, man ist schnell genug zu sagen: „Ne trebam kesu, imam torbu.“ Zu Deutsch: „Ich brauche keine Tüte, ich habe eine Tasche.“
In Herceg Novi und Kotor kostet eine Plastiktüte im Supermarkt zumindest drei Cent extra und die Kassiererinnen fragen vorher, ob man sie haben möchte. Plastikverpackungen sind aber in den Balkanstaaten ebenfalls auf Obst- und Gemüsemärkten gang und gäbe – zum Beispiel beim Kauf von Olivenöl, das auf dem Markt von Budva nicht unbedingt Olivenöl ist …
Abgesehen von dem Dreck, dem starken Autoverkehr und den monströsen Betonbunkern hat die Stadt auch eine angenehme Seite: die mittelalterliche Altstadt, in der 1970 Piratenszenen für den Film „Pippi Langstrumpf auf Taka-Tuka-Land“ gedreht wurden. Sie ist von Stadtmauern umgeben und über 2.500 Jahre alt. Somit gilt sie als eine der ältesten Siedlungen an der Adriaküste. Die schmalen Gassen sind verwinkelt und voller kleiner Läden und Cafés.
Noch im November finden hier Stadtführungen für Senioren-Reisegruppen statt, was sich in der ersten Monatshälfte lohnt. Das Thermometer klettert über 20 Grad, so dass ich mir wie auf den Kanaren vorkomme und die Jahreszeit glatt vergessen würde, wenn es nicht schon so früh dunkel wäre. Ich nutze diese letzten warmen Tage für einen Bootsausflug entlang der Budva Riviera und bereue bald ein bisschen, nicht noch weitere Bootstouren gemacht zu haben. Plötzlich steht ein Wetterumbruch mit Dauerregen vor der Tür – heftige Regenfälle, die ich zum Überwintern in Montenegro nicht einkalkuliert habe und sich in den kommenden Monaten häufen sollen.
Genauso wenig weiß ich, wie viele Straßenkatzen die Küste bevölkern. In Budva fange ich an, sie jeden Tag mit Futter zu versorgen. Und wieder einmal bricht es mir das Herz, sie zurückzulassen – wie schon im Frühjahr auf Fuerteventura.
Für digitale Nomaden ist es in Budva übrigens leicht, Menschen in einer ähnlichen Situation kennenzulernen. Es gibt auf Facebook unterschiedliche Gruppen für Expats, in denen man sich vernetzen kann und die mindestens einmal im Monat gemeinsame Abendessen in Restaurants organisieren. Meine Beobachtung ist jedoch, dass man nicht unbedingt Gleichgesinnte trifft: Wer gerne in Budva lebt, interessiert sich hauptsächlich für Partys und das billigste Bier der Stadt. Nun gut, jedem Tierchen sein Plaisirchen!
Coworking in Herceg Novi
Wären da nicht noch meine vierbeinigen Freunde, fiele mir der Abschied von Budva genauso leicht wie mein Abgang aus Berlin vor über zwei Jahren. In Herceg Novi nahe der kroatischen Grenze warten aber schon die nächsten herrenlosen Katzen und das Coworking Space Kolektiv Novi. Am Anfang meines Aufenthalts ist das Internet in der Wohnung so langsam, dass ich unmöglich von zu Hause aus arbeiten kann. Obwohl meine hilfsbereite Vermieterin das Problem schnell löst, gönne ich mir für 125 Euro eine Monats-Mitgliedschaft. So habe ich menschliche Gesellschaft und Zugang zu einer Reihe von Partys, die das Kollektiv veranstaltet.
Die meisten anderen Mitglieder sind Russen und Ukrainer, die friedlich an den Schreibtischen nebeneinander sitzen und an ihren Projekten arbeiten. Die Atmosphäre ist angenehm, obwohl ich zu dem Schluss komme, dass ich auf die Geräuschkulisse eines Großraumbüros gut verzichten kann. Trotzdem ist es mir wichtig, mindestens einmal während meines Nomadentums Erfahrungen mit Coworking zu machen.
Herceg Novi hat eine malerische, typisch dalmatinische Altstadt, in der die im 16. Jahrhundert errichtete Festung Kanli Kula thront. Wenn du durch die Gassen spazierst, kannst du dir weitere sportliche Maßnahmen für die Oberschenkelmuskulatur sparen. Es ist ein Stadtzentrum voller Treppen, die sich bis zur kilometerlangen Uferpromenade Pet Danica ziehen.
Oft laufe ich am Meer nach Igalo, wo ich eine Katzenkolonie füttere und mit Streicheleinheiten versorge. Unfreiwillig werde ich dann zur Attraktion für die anderen Spaziergänger, weil auf meinem Schoß üblicherweise mehrere Katzen schmusen und ein buntes, verspieltes Kätzchen auf meine Schultern hüpft.
Die Kitties von Kotor
Sie zu verlassen, fällt mir schwer, doch im UNESCO-Weltkulturerbe Kotor erwarten mich noch mehr Samtpfoten. In dieser Stadt voller Postkartenmotive werden sie mit viel Liebe und Respekt behandelt. Nahe des Nordtors in der Stadtmauer gibt es einen Platz mit kleinen Holzhäusern, wo die Katzen Unterschlupf finden und regelmäßig gefüttert werden. Viele sind sterilisiert und kastriert – darum kümmert sich der Verein Kotor Kitties, während Geschäfte Geld für Katzenfutter sammeln.
In Kotor fühle ich mich beim Überwintern in Montenegro am wohlsten. Nicht nur weil ich eine gemütliche Wohnung habe und von glücklich wirkenden Katzen umgeben bin – die Umgebung ist auch absolut angenehm und wesentlich sauberer als Budva und Herceg Novi. Die kulturhistorisch bedeutende Altstadt wird von den hohen Bergketten Orjen und Lovćen umrahmt. Wenn es draußen sonnig und vor allem trocken ist, empfehle ich dir eine Wanderung zur Festung. Dort oben eröffnet sich dir eine atemberaubende Aussicht über die Stadt und die traumhafte Bucht von Kotor.
Leider ist der Januar ein Monat mit viel Dauerregen, so dass weitere Wanderungen in den Bergen wegen Rutschgefahr für mich ausfallen. Eine Menge Zeit verbringe ich deshalb am Schreibtisch und nutze diese Momente, um den Katzenblog Katzen-Liebe zu gründen und Gitarre zu üben.
Überwintern in Montenegro: Fazit
Und würde ich mich noch einmal für Überwintern in Montenegro entscheiden? Meine Antwort lautet: ganz sicher nicht. Wer nämlich glaubt, den Winter an der Adriaküste überspringen zu können, wird allerspätestens im Januar eines Besseren belehrt. Minusgrade bleiben einem erspart – im Gegensatz zu Starkregen und Dunkelheit. Schnee bedeckt nur die Gipfel – wie Puderzucker wirkt er von der Küste aus betrachtet.
Wegen der Witterung mache ich auch nicht so viele Ausflüge, wie ich mir erträumt habe. Das bedeutet, ich sehe weder den Skadar See noch den Nationalpark Durmitor und viele andere Naturschönheiten, die Montenegro in seiner spektakulären Berglandschaft zu bieten hat. Wirklich schade! Ich komme aber gerne irgendwann im Frühsommer oder Herbst zurück und hole all das nach. (as)
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