Trebinje ist einer der zufälligen Orte, die ich auf meiner Lebensreise durchquere. Wahrscheinlich hätte ich die Stadt im südlichsten Zipfel von Bosnien-Herzegowina kaum auf dem Schirm gehabt, wenn sie nicht eine Freundin von mir magisch angezogen hätte. Zusammen verbringen wir Heiligabend, so dass ich für einen Tag und eine Nacht aus Herceg Novi in Montenegro anreise.
Trebinje liegt in einem Drei-Länder-Eck: Auch die kroatische Tourismus-Metropole Dubrovnik ist nur 30 Kilometer entfernt. Von Herceg Novi fahre ich 45 Kilometer mit dem Bus. Die Straße schlängelt sich durch raue Karstberge und irgendwo oben auf dem Pass befinden sich in einem Abstand von einigen Kilometern die beiden Grenzstationen. Zweimal müssen also alle Fahrgäste aussteigen und sich an den Grenzhäuschen ausweisen. Wenn sich dort viel Verkehr staut, kann das durchaus eine Weile dauern. Ich habe aber Glück und gelange nach dem Grenzübertritt zügig ans Ziel.
Alte Brücken und Feuerberge
Die Stadt ist von imposanten Gebirgszügen umrahmt und mitten durch sie hindurch fließt der Fluss Trebišnjica. Am Ufer ist es möglich, in beide Richtungen lange Spaziergänge zu machen und sich am Blick auf die steinernen Brücken und die Altstadt zu erfreuen. Morgens im Sonnenaufgang glühen die kahlen Berge feurig rot; ein bisschen erinnert mich der Anblick an die Vulkane auf Fuerteventura.
Im Winter ist es aber in Trebinje viel kälter als auf der Kanaren-Insel: Während ich in Montenegro an der Adria-Küste in einer Stoffjacke nach draußen gehe, friere ich dort oben in den Bergen. Trotzdem lohnt es sich tagsüber, durch das malerische Stadtzentrum zu flanieren. Man erreicht alles schnell zu Fuß, was meine Freundin, die auch aus Berlin abgehauen ist, besonders zu schätzen weiß. Im Sommer herrscht in der Region ein mediterranes Klima und ich ahne, wie dann die Menschen die Cafés am Fluss und in der Altstadt bevölkern.
Auch am Heiligabend 2022, der in diesem serbisch dominierten Ort nicht festlich zelebriert wird, spüre ich Lebendigkeit. Trebinje ist weihnachtlich dekoriert, im Zentrum findet ein Markt statt. Bauern aus der Region verkaufen Naturalien wie Obst, Gemüse, Käse und Schinken – alles viel günstiger als in den Nachbarstaaten Montenegro und Kroatien. Die Händler akzeptieren Euro, geben aber meist Wechselgeld in bosnischer Mark heraus.
Serbisch dominiertes Trebinje
Die alte Steinhaus-Architektur in der Innenstadt unterscheidet sich kaum von Dubrovnik, doch trotz der Nähe trennen die Köpfe Welten. Trebinje ist de facto die Hauptstadt des serbischen Teils der Herzegowina und gehört seit dem Ende des Bosnien-Kriegs zur Republika Srpska. Dementsprechend beherrscht das Kyrillische die Schriftsprache. Die lateinischen Buchstaben sind selbst auf Speisekarten nur klein gedruckt.
Als ich in Gegenwart meiner Freundin mit dem Vermieter meiner Ferienwohnung in der Landessprache rede, kommentiert sie auf Englisch, dass ich Serbisch spreche. Hinterher sagt sie mir, dass die Leute auf die Bezeichnung Kroatisch allergisch reagieren. Seit ich mich zwischen verschiedenen ex-jugoslawischen Staaten bewege, möchte ich mich auch selbst nicht mehr festlegen. Außer in Slowenien wird abgesehen von dialektalen Unterschieden und einigen voneinander abweichenden Begriffen überall die gleiche Sprache verwendet. Genauso ließe sich Deutsch beispielsweise in Bayerisch, Sächsisch oder Berlinerisch spalten – und im Anbetracht der vielen unterschiedlichen Mentalitäten innerhalb von Deutschland wäre das gar nicht mal so abwegig …
Als wurzelloser Mensch ohne dauerhafte Heimat fehlt mir für jegliche Art von Nationalismus das Verständnis. Gerade in Bosnien-Herzegowina wird man allerdings bis heute mit den schlimmsten Auswüchsen konfrontiert, wenn man genauer hinschaut. 1992 vertrieben Kroaten Serben aus Mostar – viele sind auf ihrer Flucht in Trebinje gelandet und die kroatische Bevölkerung musste das Weite suchen. Im gleichen Jahr flüchtete eine kroatische Familie vor serbischen Angriffen nach Berlin. Deren kriegstraumatisierter Sohn, dessen Bekanntschaft ich vor ein paar Jahren gemacht habe, wünschte mir neulich „viel Spaß mit den verf…ten Serben“ in Montenegro.
Auch der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Moschee von Trebinje lief nicht ohne Proteste der Serben gegen die muslimischen Bosniaken. Mir fällt dazu nur noch der Song „Imagine“ von John Lennon ein. Damit beende ich den politischen Abstecher und widme mich den Straßentieren im Land.
Hundeleid in Bosnien-Herzegowina
Streunende Hunde prägen das Stadtbild von Trebinje. Sie stromern durch die Straßen und werden als Welpen sogar häufig entsorgt. Meine Freundin, die Berlin mit ihrer Hündin verlassen hat, ist seit über einem Monat zweifache Hundemama. Während eines Gassigangs hörte sie plötzlich die kläglichen Schreie eines Hundebabys in einem heruntergekommenen Schuppen. Der Rüde, der zu dem Zeitpunkt ungefähr einen Monat alt war, lag in einem Karton mitten im Müll. Seiner menschlichen Ersatzmutter, die ihn sofort aus seiner schlimmen Lage befreit hat, ist es gelungen, ihn wieder aufzupäppeln. Während wir mit den Hunden durch Trebinje spazieren, läuft er sogar schon ziemlich gut an der Leine.
Musikalisches Trebinje
Als wir am Abend ein Konzert besuchen, schläft er brav in seinem Bettchen im Auto. Die Schüler und Lehrer einer Musikschule treten im Kulturzentrum auf und gefühlt lauscht ihnen die ganze Stadt. Der Saal ist so rappelvoll, dass wir bei unserer Ankunft erst einmal keine Sitzplätze bekommen. Wir lehnen uns oben auf der Tribüne an die Wand, setzen und auf die Treppenstufen und finden schließlich zwei gepolsterte Stühle.
Meine Freundin ist erstaunt, mit wieviel Begeisterung die Kinder und Jugendlichen der Stadt Musik machen und wie viele Erwachsene sich dafür interessieren. „Der Balkan ist eben voller Musikalität“, antworte ich, denn diesen Eindruck habe ich schon seit langem. Ein wahrlich positiver Gedanke zum Schluss! (as)
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