Ein langes Wochenende Danzig ist einer von mehreren Kurztrips, die 2017 auf meiner Liste stehen. Obwohl ich so dicht an der Grenze wohne, muss ich gestehen, dass dies meine allererste Reise nach Polen ist. Schon Anfang des Jahres weiß ich, dass ich das machen möchte und mit der Bahn fahren werde.
Günstiger fahren: polnische Bahn
Wer eine Bahnreise ins Nachbarland plant, sollte eine Sache beachten: Die Preise zwischen der deutschen und der polnischen Bahn variieren enorm. Das heißt, mit PKP reist man um Längen günstiger!
Als ich im Frühjahr nach Spartickets der deutschen Bahn suche, würde mich die Hin- und Rückfahrkarte 68 Euro kosten. Die viel clevere Lösung für Bahnfahrer aus Berlin ist aber, sich zuerst am Schalter ein Berlin-Stettin-Ticket zu besorgen. Ohne BahnCard kostet es für eine Strecke 11 Euro, aber als stolze Besitzerin einer BahnCard 25 staube ich pro Richtung 2,70 Euro Rabatt ab.
Was das PKP-Hin- und Rückfahrticket Danzig-Stettin betrifft, bin ich mit umgerechnet rund 22 Euro am Start. Wäre ich also auf den sogenannten DB-Sparpreis reingefallen, hätte ich 30 Euro tiefer in die Tasche gegriffen.
Nachteile der Bahnfahrt nach Danzig
Von Vornherein ist mir klar, dass ich für mein langes Wochenende Danzig über acht Stunden unterwegs sein werde. Bei dem Zug nach Stettin handelt es sich um eine Regionalbahn und der nicht gerade rasende PKP-Intercity hält an fast jeder Milchkanne.
Während ich normalerweise gerne auf langen Bahnfahrten arbeite, ist das im recht veralteten polnischen Zug überhaupt nicht möglich. Es gibt nur enge Abteile und sobald man sich eines mit fünf bis sechs Leuten teilt, ist Schluss mit Ruhe.
Auf der Hinfahrt kümmere ich mich nicht so sehr darum. Erstens fühle ich mich müde wie immer nach den Nächten vor Reisen, in denen ich vor Vorfreude wenig schlafe. Zweitens bin ich echt glücklich, wieder mal on tour zu sein.
Ärgernis Deutsche Bahn
Die Rückreise wird für mich zur Qual, woran die liebe Deutsche Bahn schuld ist. In Angermünde muss ich nach dem Halt in Stettin noch einmal umsteigen. Die vor Hitze erschöpften und gereizten Menschen quetschen sich in den Gängen, die Toilette ist defekt wie bereits im deutschen Regionalzug aus Stettin. Um am Bahnhof in Stettin noch mal aufs stille Örtchen zu verschwinden, bleibt wegen der Verspätung des Intercitys aus Danzig keine Zeit …
Kurzer Weg in die Altstadt
Mein langes Wochenende Danzig lasse ich mir von der Bahn auf keinen Fall vermiesen! Am Tag meiner Ankunft am 6. Juli habe ich sogar Glück, dass es vom Danziger Hauptbahnhof bis zum Hostel am Rande der Altstadt nur ein Katzensprung ist. Als ich erst einmal ein bisschen orientierungslos bin, lotst mich ein netter junger Mann dorthin.
Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos und nachdem ich dank WLAN im Zimmer meine geschäftlichen E-Mails beantwortet habe, bleibt ab 17:00 Uhr noch massig Zeit, die Altstadt von Danzig zu erkunden.
Dluga-Straße und Hauptplatz
Die zentrale Meile ist die Dluga-Straße, die am prächtigen Goldenen Tor beginnt und auf den Hauptplatz mit dem Neptunbrunnen (Dlugi Targ) führt. Auf meinem allerersten Weg dorthin fallen mir sofort die vielen Bernstein-Schmuckhändler ins Auge. Überall in der Altstadt kann man Ketten, Ringe, Armbänder, Ohrringe, Broschen und andere Souvenirs mit dem Stein aus der Ostsee kaufen.
Bernstein in Danzig
Kein Wunder, schließlich war Danzig schon vor Jahrhunderten DAS Zentrum der Bernsteinproduktion. Ich schaue mir die Schmuckstücke an, am liebsten in der urigen Mariacka-Straße, und gehe auch ins Bernsteinmuseum. Zum Selbertragen ist Bernsteinschmuck aber nicht ganz mein Geschmack.
Danzig: ein Phönix aus der Asche
Spätestens als ich am Hauptplatz ankomme, bin ich total geflasht von der baltischen Architektur, die den Charme der alten Hansestadt Danzig widerspiegelt. Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten hier noch etwa 90 Prozent Deutsche. Die wohl berühmtesten gebürtigen Danziger: Literaturnobelpreis-Träger Günter Grass (1927 – 2015) und Schauspiel-Legende Klaus Kinski (1926 – 1991).
Hinter den hübschen Häusern verbirgt sich aber eine traurige Geschichte: 1945 lag ganz Danzig in Schutt und Asche – wie der Rest Pommerns. Tausende Menschen mussten fliehen, einschließlich meiner Großeltern mit ihrer Baby-Tochter, die diese Strapazen nicht überlebt hat.
Als ich mit dem Riesenrad Amber Sky am anderen Ufer des Flusses Motlawa ein paar Runden drehe (Kosten: 28 Zloty, rund 7 Euro), bemerke ich es: Die Altstadt von Danzig (Stare Miasto) wurde zwar nach dem Krieg rekonstruiert, während der Rest der Stadt aus Nachkriegs-Betonbauten besteht.
An diesem Flussufer mit Riesenrad, das zurzeit schick und hipster-mäßig neu bebaut wird, sind ein paar Kriegsruinen geblieben. Die dunkle Geschichte ist in Danzig also nach wie vor präsent – vor allem dann, wenn man eine Bootstour zur Westerplatte macht.
Bootsausflug zur Westerplatte
Für 40 Zloty (rund 10 Euro) hin und zurück fahren Ausflugsdampfer an den ehemaligen Kriegsschauplatz, wo die Nazis in den ersten Kriegstagen im September 1939 eine Kampfeinheit polnischer Soldaten brutal abgeschlachtet haben. Die Namen der Opfer sind heute in Gedenktafeln eingraviert.
Nicht nur das: Auch die Kriegsruinen sind an der Westerplatte als Mahnmal erhalten, man kann sie sogar begehen.
An diesem Ort fühle ich mich übel bedrückt, obwohl bei meinem Besuch die Sonne scheint und hier heute Familien mit Kindern flanieren. Ein wuchtiges Steindenkmal und der polnische Schriftzug „Nie wieder Krieg“ am Ende einer Rasenfläche erinnern neben einem Kriegsmuseum an die Scheußlichkeiten auf der Westerplatte.
Nach anderthalb Stunden auf dem ehemaligen Schlachtfeld reicht es mir. Ich nehme das Boot zurück in die Altstadt von Danzig – vorbei an wuchtigen Industrie-Anlagen und der Festung Weichselmünde – und klappere weitere Sehenswürdigkeiten ab.
Kurztrip als Überblick
Alle wichtigen Attraktionen befinden sich auf sehr engem Raum, so dass ein langes Wochenende Danzig wirklich ausreicht, um einen Überblick über die ehemals „freie Stadt“ zu gewinnen.
Zum Beispiel gibt es eine Vielzahl von Kirchen, darunter die Marienkirche (Bazylika Mariacka). Diesen Sommer finden dort jeden Freitagabend Orgelkonzerte statt. Ich besuche eines davon, bin aber von dem Herrn Meisterorganisten nicht sonderlich angetan. Bevor er überhaupt fertig in die Tasten gehauen hat, strömen die Leute schon nach draußen.
Uhrmuseum St. Katharinenkirche
Ein kleines Highlight unter den Danziger Gotteshäusern (im wahrsten Sinne des Wortes) ist die St. Katharinenkirche, in deren Turm ein Uhrenmuseum untergebracht ist. Für 12 Zloty kann man auf die Aussichtsplattform auf dem Turm steigen und auf dem Weg nach oben in den abgedunkelten Räumen bunt beleuchtete Glocken und Uhren aus unterschiedlichen Epochen betrachten.
Das einzig Unangenehme daran: das Ticken der vielen Zeitmesser. Es vergegenwärtigt mir hier im Glockenturm, dass mein Leben nicht ewig dauert und mich jeder Schlag näher zum Grab befördert. Ich mache trotzdem ein paar Bilder, denn die kunstvollen Illuminationen sind es wert!
Große und kleine Mühle
Gegenüber der St. Katharinenkirche wartet eine weitere interessante Sehenswürdigkeit von Danzig: die Große Mühle (Wielki Mlyn). Auch sie wurde nach den massiven Kriegszerstörungen komplett wiederaufgebaut. Am anderen Ende der Straße gibt es als Mini-Equivalent die Kleine Mühle.
Der Markt von Danzig
Wenn man sich in diesem Teil der Innenstadt bewegt, sollte man auch einen Abstecher zum Markt von Danzig machen. Erstens kann man sich dort mit Obst und anderen Lebensmitteln eindecken, zweitens sagen Markthallen sehr viel über die Kultur eines Landes aus. Nicht nur mit den Augen saugt man sie auf, man hat auf Märkten auch die Chance, die Gerüche der landestypischen Spezialitäten zu inhalieren.
Langes Wochenende Danzig: Piroggen
Apropos Spezialitäten: Ich bin ein Riesenfan von polnischen Piroggen, die entweder gekocht oder im Ofen gebacken serviert werden. Beim Füllen der Teigtaschen können die Köche ihre Fantasie frei ausleben. Typisch sind Sauerkraut-, Kartoffel-, Pilz- oder Hackfleischfüllung.
Zahlreiche Restaurants in Danzig haben Piroggen auf der Speisekarte. Zweimal genieße ich sie im Pierogarnia – einmal gekocht, das andere Mal gebacken. Die Variante aus dem Kochtopf bzw. aus der Pfanne schmeckt mir besser, denn der gebackene Teig ist mir ein bisschen zu trocken.
Wenn man wirklich gut und extrem preiswert Piroggen essen möchte, empfiehlt sich ein Besuch des Marktes in der Nähe des Bernsteinmuseums: Für nur fünf Zloty bekommt man fünf superleckere Teigtaschen mit gebratenen Zwiebeln – vegetarisch und/oder fleischig!
Polnische Zungenbrecher
Dieser Danziger Markt bietet übrigens noch mehr Genuss auf polnische Art. Ich kaufe mir eine Flasche Kirschwein, nachdem ich vorher ein paar andere Sorten probiert habe. Die Marktfrau spricht weder Deutsch noch Englisch. Als ich mit meinen paar Brocken Urlaubspolnisch nicht weiterkomme, hole ich Kroatisch aus dem Sack und bin begeistert, wie gut die Dame mich versteht!
Sobald ich geschriebenes Polnisch sehe, werden mir viele Zusammenhänge wegen meiner Kroatisch-Kenntnisse klar. Ich entschlüssele auch ein paar gesprochene Worte. Wer aber glaubt, Kroatisch sei verdammt konsonantenreich, der kriegt vom Polnischen noch mal die Krone aufgesetzt!
In Danzig ertappe ich prompt einen „falschen Freund“: das Wort „jagoda“, das auf Kroatisch Erdbeere bedeutet und auf Polnisch „Heidelbeere“. Beides slawische Sprachen, aber geografisch weit voneinander entfernt!
Abstecher zum Ostseestrand
Ein paar Tage zuvor noch in der kroatischen Adria geplanscht, sehne ich mich schon wieder nach Meer. Ich will mein langes Wochenende Danzig auf keinen Fall beenden, ohne einmal am Ostseestrand gewesen zu sein.
Obwohl das Wetter am 8. Juli recht durchwachsen ist und ich den Morgen wegen eines Regenschauers im sehenswerten Danziger Stadtmuseum im alten Rathaus verbracht habe, mache ich am Nachmittag einen Ausflug zum Stadtstrand.
Dorthin bringt mich die Straßenbahn Nr. 3 Richtung Brzeźno, die von der Innenstadt vielleicht eine gute halbe Stunde braucht. Das Ticket kostet pro Strecke 3,80 Zloty, also weniger als einen Euro.
Ich habe Glück: Am langen, weichen Sandstrand ist es zwar bewölkt, aber es bleibt trocken. Zwei Mutige baden sogar in der kalten Ostsee, in die ich nur meine Füße halte. Barfuß gehe ich am Strand spazieren, lasse mich im Sand nieder und könnte ewig so dem Rauschen der Wellen lauschen.
Wenn man mehrmals im Jahr bei strahlend blauem Himmel in der türkis schimmernden Adria badet, ist so ein raues Ostsee-Kontrastprogramm echt eine willkommene Abwechslung! Auch hier kann man Wassersport machen, zum Beispiel Kajak fahren. Ohne Neoprenanzug hätte ich wahrscheinlich keine Lust darauf …
Als sich der nächste Schauer über mir ergießt, kehre ich schleunigst ins Stadtzentrum zurück. Dort scheint schon wieder die Sonne, so dass ich mich voll in das kulturelle Leben auf Danzigs Straßen stürzen kann.
Danzig, eine Stadt voller Straßenkunst
Mein langes Wochenende Danzig hat mir bewiesen: Dies ist ein lebendiger Ort für junge, unternehmungslustige Leute. Jeden Abend tummeln sich in der Altstadt Künstler unterschiedlicher Richtungen – Feuerschlucker, Maler und Musiker.
Im grünen Tor spielt ab nachmittags eine Gruppe von Streichern, höchstwahrscheinlich Musikstudenten. In ihre klassischen und modernen Stücke legen sie so viel Inbrunst und Leidenschaft, dass ich immer wieder zurückkomme und mich gar nicht von den Klängen lösen kann.
Nicht nur ich: Eine riesige Menschentraube umringt die Musiker Abend für Abend und applaudiert ihnen mit begeisterten Bravo-Rufen.
Auch der Maler, der mit Spraydosen in wenigen Minuten fantasievolle Bilder zaubert, hat immer staunende Passanten um sich. An meinem letzten Abend in Danzig rockt sogar eine Mittelalter-Band die Dluga-Straße – ohne dafür Eintritt zu verlangen!
Noch nie habe ich außerhalb eines offiziellen Straßenfestivals so viele Performance-Künstler in einer Stadt auf so engem Raum erlebt. Mein langes Wochenende Danzig ist also eine Erinnerung, von der ich noch eine ganze Weile zehren werde. (as)
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