Gleich nach der Aufhebung der C-Regeln in Kroatien treffe ich im April auf Lanzarote eine Entscheidung: Dieses Jahr sollte ich endlich ins geliebte Land zurückkehren. Das bin ich meinem Reiseportal Kroatien-Liebe, in das ich früher so viel Herzblut fließen lassen habe, einfach schuldig. Während meiner schon seit über zwei Jahren andauernden Abwesenheit schreibe ich kaum Blogartikel für die Website. Um das zu ändern, glaube ich, dass August ein guter Zeitpunkt für meine Rückkehr sei – ausgerechnet der Monat, in dem in Kroatien Massentourismus schon vor Corona sein Unwesen getrieben hat!
Darüber denke ich aber kaum nach. Ich will unbedingt zurück und länger bleiben als jemals zuvor. Also miete ich mir eine Wohnung in Zagreb. Einen ganzen Monat! Mein Vor-Corona-Ich hätte sicher vor Begeisterung Luftsprünge bis in den siebten Himmel gemacht. Immerhin hegt es bis Anfang 2020 schon lange die Absicht, seine Zelte in Berlin abzubrechen und „für immer“ in die kroatische Hauptstadt zu ziehen.
Schon Kroatien Massentourismus vor 2020
Zwar regt sich die alte Annika manchmal in ihrem Blog über den Kroatien Massentourismus auf, doch am Ende des Tages spürt sie eine tiefe Sehnsucht und reist alle zwei bis drei Monate in ihre „Seelenheimat“. Sie hat sogar Angst, das eines Tages nicht mehr tun zu können. Dass sie womöglich in einer Traumwelt lebt, blendet sie aus und überhört die Weckrufe, die seit Sommer 2018 immer lauter auf sie einprasseln. Stattdessen sendet sie tausendfach ihren Wunsch ans Universum: „Ich will raus aus Berlin und nach Kroatien auswandern.“
Die neue Version meiner selbst würde ihr antworten: „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, denn sie könnten Wirklichkeit werden.“
Offenbar möchte mir das Schicksal auch nur einen der beiden Wünsche erfüllen: Es katapultiert mich raus aus meinem Berliner Dasein, blockiert den Weg nach Kroatien und richtet den Kompass nach Norden zu mir unbekanntem Land. In Schweden fühle ich mich auf Anhieb wohl – auf eine entspannte Weise, die mich mit mir selbst und meiner Umgebung in Einklang bringt. In mir ist Frieden und Naturverbundenheit anstelle von aufgewühlter Sehnsucht und Dopamin-Schüben wie in der Phase der ersten Verliebtheit.
Vom Traum zur Wirklichkeit
Wie ich diese Energie-Kicks gebraucht habe! Der Teil von mir, der schon vor C. einen guten Durchblick hat, vergleicht sie mit einem Computer-Virus, der sofort aktiv wird, sobald ich nur einen Fuß auf kroatischen Boden setze. In der Zeit der höchsten Virus-Last nenne ich ihn scherzhaft HR-Virus (HR = Hrvatska = Kroatien in der Landessprache) und mein Verlauf ist echt schwer.
Und wenn es einen Test gäbe wie für ein anderes ominöses Virus, wäre der in meinem Fall immer noch positiv? Als ich am 1. August in Zagreb ankomme, erscheint mir das Ergebnis auch ohne Teststreifen. Sämtliche Exaltiertheit ist weg, weg, weg! „Boah, was für schlechte Luft!“, denke ich, als ich mit Koffer und Gitarre aus dem Reisebus aussteige.
Noch immer fühle ich mich mit der Stadt verbunden, aber auf einmal sehe ich jede Menge verfallener Häuser und Schmierereien auf nahezu allen Fassaden der Prachtbauten aus der Habsburger Epoche. Waren die früher auch schon da? Und die vielen Ramschläden für Touri-Tinnef, sind die erst nach meinem letzten Besuch im Dezember 2019 wie Pilze aus dem Boden geschossen? Vor allem beobachte ich, dass die Innenstadt beim Erdbeben Ende März 2020 unheimlich viel Schaden genommen hat. Baukräne und eingerüstete Fassaden prägen nun das Stadtbild und das Regierungsviertel in Gornji Grad ist durch Polizei abgeriegelt. Früher war es noch möglich, rund um die Kirche Sv. Marka zu flanieren.
Kroatien Massentourismus an der Adria
Während ich meine abendlichen Spaziergänge durchs Zagreber Stadtzentrum noch in gewisser Weise genieße, stelle ich bei Ausflügen nach Zadar und Pula plötzlich mein „Baby“ Kroatien-Liebe infrage. An der Adria-Küste schlägt der Kroatien Massentourismus mit aller Wucht um sich. Je näher man dem Meer kommt, desto heftiger staut sich der Verkehr. Fahrzeugkolonnen blockieren kilometerweit Autobahnen, Landstraßen und Stadtzentren. Nichts geht mehr vorwärts in der verpesteten Luft. Durch die Gassen von Zadar und Pula schieben sich Menschenmengen, die alles andere als erholt wirken. Mag das die Art von „Freiheit“ sein, von der viele meiner Landsleute träumen, bevor Comedy-Karl im Herbst wieder die Schotten dicht macht?
Meine kroatischen Kooperationspartner in beiden Städten sind ebenfalls genervt und treffen mich in Lokalen außerhalb des Trubels. In Pula haben wir jedoch längst keine Chance mehr, den Massen zu entkommen. Noch nie habe ich mich in Kroatien so unwohl gefühlt. Als Konsequenz dessen lösche ich mein Ausflugsangebot in Istrien fast vollständig von der Website. Weitere Touren werden demnächst folgen. Wahrscheinlich in Pula fange ich mir als süßes, kleines Extra noch eine fiese Magen-Darm-Grippe ein und liege tagelang flach. Aus Kroatien wird Kloatien!
Sanfter Tourismus statt Massentourismus
Als sich mein Körper erholt hat, fühle ich mich leer und frage mich, wie es mit Kroatien-Liebe weitergehen soll. Noch immer schwirrt mir diese Frage durch den Kopf. Auf jeden Fall möchte ich an dem Projekt festhalten, doch ich wünsche mir einen sanfteren Tourismus für bewusstere Menschen, die das Land, seine Leute und die wunderschöne Natur wirklich zu schätzen wissen. Bisher fehlt mir eine klare Vision. Deshalb konzentriere ich mich erst einmal auf Blogartikel, die alles Positive, was mir in Kroatien begegnet, in ein goldenes Licht rücken, zum Beispiel die kroatische Gastfreundschaft.
Seit dem 31. August bin ich auf der Insel Korčula, wo mich meine Vermieterin und deren Familie ausgesprochen herzlich empfangen haben. Ich bleibe noch bis zum 31. Oktober in Dalmatien und werde offen sein für alle Geschenke des Lebens in dieser Zeit, in der sich der Kroatien Massentourismus 2022 hoffentlich bald dem Ende neigen wird.
Neuer Tourismus-Rekord für 2022
Apropos Massentourismus: Am gestrigen 1. September schrieb das auf US-Leser zugeschnittene englischsprachige Online-Magazin Croatia Week, dass Kroatien dieses Jahr tatsächlich einen Besucher-Rekord verzeichne: 15 Millionen Touristen seien bis Ende August 2022 ins Land geströmt, wobei Istrien eine Spitzenreiter-Position einnehme. Da der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die kroatische Wirtschaft ist, wird dieser Trend von staatlicher Seite mit Kusshand begrüßt. Die Kehrseite der Medaille sind Umweltverschmutzung und kulturelle Gleichschaltung für eine von Instagram und Co. vergiftete Gesellschaft. Auch wenn ich mir so leicht ein riesiges Stück vom Kuchen abschneiden könnte, würde es mir verdammt schwer im Magen liegen. Wie ein 9-to-5-Job in einem Unternehmen, dessen Werte mir missfallen! (as)
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