In diesem Jahr wurde Wrocław von Reiselustigen aus aller Welt bei European Best Destinations zum besten Reiseziel in Europa gewählt. Ein guter Grund für mich, mal ein Wochenende in Breslau zu verbringen! Von Berlin bietet sich das an, denn samstags, sonntags und an einigen Feiertagen verkehrt zwischen den beiden Städten der sogenannte Kulturzug – für 19 Euro pro Strecke.
Beginnen kann man die Reise nach Polen am Bahnhof Berlin-Lichtenberg und am Ostkreuz. Auf den ersten Blick ist der Kulturzug ein gewöhnlicher, etwas veralteter deutscher Regionalexpress, in dem die Luft an warmen Tagen mit vielen Fahrgästen stickig wird. Ich finde ihn so unbequem wie alle bisher getesteten Polen-Zugverbindungen, aber dafür fährt man ohne Verspätung auch „nur“ vier Stunden und 20 Minuten bis zum Breslauer Hauptbahnhof Wrocław Glowny.
Kulturprogramm im Kulturzug
Trotz der Mankos profitiere ich auf der Hinfahrt am 12. Mai von einem bunten Kulturprogramm. Immer mit an Bord ist eine mobile Bibliothek mit deutsch- und polnischsprachigen Büchern, die helfen sollen, die lange Fahrtzeit ohne Langeweile zu überbrücken. Außerdem wird ein Quiz über die Regionen entlang der Gleise verteilt, für die korrekte Lösung winken zwei Glücklichen sogar Preise.
Das Highlight der Hinreise heißt allerdings „Polnisch Proviant“ und beginnt nach dem Halt in Cottbus: ein lustiger Polnisch-Crashkurs mit der Theaterpädagogin Natalie Wasserman, die zweisprachig aufgewachsen ist und im Fahrradwagen viele Interessierte um sich schart. Jeder ihrer Schüler steckt mit seinen Polnisch-Kenntnissen noch in den Kinderschuhen, so dass bei dieser Sprachlektion auch ganz viele Filzstifte zum Einsatz kommen. Weil ich mir ja schon eine Menge Kroatisch eingebimst habe, staune ich über die Parallelen zwischen den beiden slawischen Sprachen, obwohl sie unterschiedlich klingen. Natalie braucht für ihr Polnisch Proviant über eine Stunde – selten ist mir eine Zugfahrt so lehrreich vorgekommen!
Gegen 12:45 Uhr erreicht der Regio Breslau – das Wetter ist traumhaft und meine sehr zweckmäßige Retro-Style-Unterkunft im Hotel Savoy liegt auf dem Weg in die Altstadt. Für Tagesausflügler tuckert kurz vor 19 Uhr ein Kulturzug zurück nach Berlin. Ich möchte immer möglichst viel sehen und gönne mir ein Wochenende in Breslau – und selbst das erscheint mir ein bisschen zu kurz!
Hauptplatz von Wroclaw
Eine Stadtbesichtigung in Wroclaw startet man am besten auf dem mittelalterlichen Hauptplatz, dem Rynek (Großer Ring). Er ist von farbenfrohen Giebelhäusern mit zahlreichen Restaurants, Kneipen und Straßencafés umgeben. Auf diesem wunderschönen Platz wimmelt es von Seifenblasenkünstlern, die vor allem die Kinder erfreuen. Nach Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich der Rynek, wie die Altstadt von Danzig, in eine riesengroße Bühne für Straßenmusiker, Maler, Folkloregruppen und Feuer-Akrobaten. In diesem Open-Air-Theater kann man sich von einer Attraktion zur nächsten treiben lassen und braucht dafür noch nicht mal Eintritt zu zahlen.
Kriegszerstörung
Die positive Energie in Breslau ist ansteckend! Zwischen all der lebensbejahenden Kleinkunst mag man kaum glauben, was Fotomotive von 1945 ebenfalls in der City dokumentieren: dass die Hauptstadt der ehemals deutschen Region Niederschlesien am Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern lag. Der Rynek und andere Highlights der Altstadt wurden nahezu originalgetreu wiederaufgebaut, doch jenseits des Platzes wirkt Breslau wie ein architektonisches Patchwork mit sozialistischen Plattenbauten neben supermodernen Shopping-Malls.
Altes Rathaus
Ein hervorstechendes Gebäude auf dem Rynek ist das im 13. Jahrhundert entstandene alte Rathaus, das man für 15 Zloty (knapp vier Euro) besichtigen kann. Im Inneren wandelt man auf zwei Etagen durch Räume wie den Gerichtssaal, die Bürgerhalle, den Fürstensaal, die Ratsstube und die Ratsältestenstube. Viel interessanter finde ich aber die spätgotische Außenfassade mit der astronomischen Uhr und den detailreichen Steinmetzarbeiten. Abends wird das Rathaus stilvoll beleuchtet – ein tolles Motiv für Nachtaufnahmen!
Salzmarkt
An den Rynek grenzt im Südwesten der kleinere Plac solny (Salzmarkt), wo sich die Giebelhaus-Architektur fortsetzt. Noch mehr ins Auge stechen mir jedoch die Unmengen an Blumenläden auf dem Platz. Ob Rosen, Sonnenblumen, Lilien oder Orchideen – hier erhält man Blumensträuße, Balkonpflanzen und Topfblumen für jeden Anlass.
Die Breslauer Universität
Obwohl ich mein Studium schon vor geraumer Zeit beendet habe, marschiere ich an meinem Wochenende in Breslau schnurstracks zur Universität. Vor dem Eingangsportal dürfte ein Brunnen mit Wasser speienden Köpfen für Stielaugen sorgen: Auf ihm posiert eine wohlgeformte männliche Statue mit Säbel in der rechten Hand.
Ich rate jedem Breslau-Besucher, sich die Uni von innen anzuschauen. Sonntags ist der Eintritt sogar frei! Die Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität war eine renommierte deutsche Lehranstalt, wo bekannte Persönlichkeiten wie Karl Bonhoeffer (Psychiater und Vater von Dietrich Bonhoeffer) oder Heinrich Hoffmann von Fallerleben (Dichter) unterrichteten. 1946 wurde sie als Uniwersytet Wrocławski unter polnischer Flagge neu gegründet. Eine Ausstellung zeigt Exponate aus mehreren Fachbereichen, zum Beispiel aufgespießte Schmetterlinge oder Tierföten. Das erste Aha-Erlebnis habe ich im Oratorium Marianum.
Oratorium Marianum
Es handelt sich um einen Konzertsaal, der 1733 als Kirche der Marianischen Kongregation feierlich eingeweiht worden war. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er zur Universitätsbibliothek umfunktioniert und ab 1815 als Austragungsort für Konzerte genutzt. Im Marianum gastierten dann bedeutende Musiker wie Johannes Brahms, Franz Liszt, Clara Schumann oder Hector Berlioz.
Als ich den Saal betrete, erklärt gerade ein Stadtführer einer britischen Reisegruppe, was für eine geniale Akustik dieses Oratorium vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gehabt habe. Dank aufwendiger Restaurierungsarbeiten in den 80er und 90er Jahren sei der Klang aber fast wieder genauso fabelhaft wie vor dem schweren Bombenangriff im Jahr 1945. Scherzhaft fragt er in die Runde, ob jemand ein Lied singen möchte. Ich hebe die Hand, gehe nach vorne, trällere den Leuten was vor und ja – diese Akustik ist der Hammer!
Gleiches kann ich über die barocken Deckengemälde von 1733 sagen: Auch sie waren dem Krieg zum Opfer gefallen, doch die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Universität Wrocław ließ sie dank finanzieller Mittel der Robert Bosch Stiftung und der Bundesregierung rekonstruieren. Diese Aufgabe übernahm der Berliner Künstler Christoph Wetzel – eine wahre Glanzleistung ist ihm damit 2014 gelungen!
Aula Leopoldina
„Für den Wiederaufbau von Kulturgut zahle ich gerne Steuern“, denke ich, als ich in der Aula Leopoldina lese, dass die deutsche Regierung 2017 auch die Rekonstruktion der Musikempore finanziert hat. Diese barocke Aula gilt als repräsentativster Saal im Hauptgebäude der Breslauer Uni. Malereien, Bildhauerei und Schnitzereien bilden ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk, das seit 2008 kontinuierlich restauriert wird. Im Gegensatz zum Marianum sind hier die Arbeiten aber noch lange nicht abgeschlossen.
Aussicht vom Turm
Für einen Rundumblick über die Stadt solltet Ihr die Kaisertreppe weiter hinaufsteigen bis zur Aussichtsplattform auf dem Turm. Hier oben kann man ein Breslau-Panorama mit allen architektonischen Meisterwerken und Schandtaten genießen. Ich erlebe es bei tiefblauem Himmel und superklarer Sicht. Aus der Höhe erkennt man, von wie viel Wasser Wroclaw umgeben ist!
Wochenende in Breslau mit 12 Inseln
Da versteht es sich wie von selbst, dass man am Ufer der Oder (Odra) in einer Vielzahl von Strandbars Cocktails schlürfen und die Seele baumeln lassen kann. Natürlich gehört an meinem Wochenende in Breslau so ein Absacker zum Pflichtprogramm, doch erst einmal flaniere ich über ein paar der zwölf Inseln, aus denen sich die Stadt zusammensetzt.
Dominsel
Die wohl bekannteste Insel in Wroclaw ist die Dominsel, auf die man über die von Liebesschlössern überfrachtete Dombrücke (Most Tumski) spaziert. Am Rande der Brücke werden die kleinen Andenken für Liebende sogar in mehreren Größen verscherbelt. Nach dem Kauf braucht man sie nur noch mit einem Edding zu beschriften und kann das Schloss sofort aufhängen. Aber nein, Liebesschlösser sind doch nur mit Gravur stilecht und außerdem eine echte Belastung für Brücken!
Breslauer Dom
Ich grinse also nur über die Touri-Abzocke und besichtige den Dom von Breslau, wo ein Chor probt. Wie schon anderthalb Monate zuvor in Krakau beobachte ich erzkatholische Menschen, die sich ehrfürchtig bekreuzigen und vor Heiligen-Statuen niederknien. Mit dem Fotografieren halte ich mich bewusst etwas zurück, weil ich merke, dass es den Einheimischen missfällt.
Der gotische Breslauer Dom mit den zwei knapp 98 Meter hohen Türmen zählt zu den Wahrzeichen der Stadt. Er wurde zwischen 1244 und 1341 errichtet, seitdem mehrmals umgebaut und zerstört – zuletzt 1945 von der Roten Armee. Sein Wiederaufbau konnte erst 1992 komplett abgeschlossen werden. Während das im Krieg unbeschädigte Krakau in seinen Kirchen mit viel Gold und Pomp aufwartet, wirken die Gotteshäuser in Breslau im Vergleich viel schlichter.
Botanischer Garten
Nach der Dombesichtigung lohnt sich bei sonnigem Wetter gleich ein Abstecher in den botanischen Garten. Er befindet sich nebenan und ist eine grüne Oase voller herrlicher Blumen, die für 15 Zloty Eintritt zum Relaxen und Herumschlendern einlädt. Der Garten wurde als Freiluftmuseum für Naturkunde konzipiert, allerdings muss man keine Ahnung von Biologie haben, um sich an den Pflanzen, den Teichanlagen oder dem alpinen Garten zu erfreuen.
Im botanischen Garten steht eine Statue des deutschen Dichters Josef von Eichendorff (1788 – 1857). Auch hierbei handelt es sich um eine Rekonstruktion, nachdem das Original im Bombenhagel Schaden genommen hat.
Bootstouren in Breslau
Wenn man stundenlang durch eine Stadt marschiert, sehnen sich die Füße irgendwann nach Erholung. Bei einer Bootsfahrt auf der Oder können sie sich eine knappe Stunde ausruhen. Rund um die Dominsel tummeln sich Veranstalter für Ausflugsfahrten, die mit größeren Dampfern und kleineren Kuttern erst einmal nach Osten ins Grüne schippern und dann durch das touristische Zentrum.
Die Bootsausflüge kosten pro Person rund 20 Zloty – etwa ein Viertel einer Spree-Schifffahrt in Berlin, wo man dafür locker mal 20 Euro aus der Tasche gezogen bekommt! Ich lande auf einem Boot für maximal acht Passagiere und schieße vom Wasser aus viele bedrohlich dunkle Motive, zum Beispiel von der Uni. Glücklicherweise zieht das sich anbahnende Gewitter an Breslau vorbei. Nach der Bootstour flaniere ich über die Inseln und mache an einer modernen silbernen Skulptur einige Kunstbilder. Auch Street Art begegnet man in Breslau!
Zwerge in der City
Geht man mit offenen Augen durch die Stadt, trifft man immer wieder Zwerge – die sogenannten Krasnoludki. Es sind natürlich keine lebendigen Mini-Menschen, sondern Bronzefiguren, von denen es insgesamt etwa 300 geben soll. Heute zählen sie zu den beliebtesten Touristenattraktionen, vor über 30 Jahren setzte die Oppositionsbewegung „Orange Alternative“ mit ihnen noch ein Zeichen gegen das sozialistische Regime in Polen.
Anfang des neuen Jahrtausends tauchten plötzlich weitere Zwerge auf, diesmal aber als Arbeiten der Breslauer Kunsthochschule. Seitdem haben sich die originellen Gesellen stetig vermehrt.
Breslauer Märkte
Wenn man an einem Wochenende in Breslau Zwerge jagt, verlangt der Körper zwischendurch die eine oder andere Stärkung. Die kann man sich beispielsweise in der Markthalle in der Nähe der Dominsel einverleiben. Ich betone es immer wieder: Ich liebe Märkte – egal ob ich auf dem Markplatz von Wolfenbüttel oder auf dem Dolac in Zagreb stehe. Märkte sagen so viel aus über eine Region und deren (Ess-)Kultur! In der Breslauer Markthalle kaufe ich mir für zwölf Zloty eine Ladung Erdbeeren – ein recht touristischer Preis.
Am Sonntagmorgen mache ich eine Zufallsentdeckung: Am stillgelegten Bahnhof Wroclaw Swiebodzki wird ein gigantischer Markt veranstaltet. Die Händler verticken hier alles, was man zum Leben braucht, von frischem Obst und Gemüse bis zu Haushaltsartikeln und Kleidung. Auf diesem Gelände shoppen offenbar ausschließlich Einheimische und für ungefähr die gleiche Menge Erdbeeren zahle ich diesmal nur fünf Zloty. Auf ehemaligen Bahnsteigen, zwischen Gleisen und vor alten Waggons reihen sich Marktstände – ein skurriler Anblick, den ich sofort mit der Kamera festhalte.
Wochenende in Breslau: Fazit
Als ich am 13. Mai kurz nach 17 Uhr wieder in den Kulturzug steige, fühle ich mich recht wehmütig. Ein Wochenende in Breslau ist gerade mal lang genug, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten abzuklappern und sich einen Überblick zu verschaffen. Dabei warten dort noch viel mehr Highlights – Museen, Theater, die Oper oder die 1913 eröffnete Jahrhunderthalle, die 2006 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen worden ist. (as)
Bloggen kostet Zeit und Geld. Schätzt du meine Arbeit? Dann freue ich mich über einen Energieausgleich in meiner virtuellen Kaffeekasse bei Paypal › Spenden für Reise-Liebe
Vielen Dank für die Tipps! Wir fahren in zwei Wochen über das Wochenende nach Breslau und sind schon ganz gespannt.
Viele Grüße
Christian
Hey Annika!
Das ist ein ganz toller Beitrag zu Breslau, gerade der Flohmarkt ist wirklich ein extrem cooler und wird nie in Reiseführern erwähnt 🙂
Wir hoffen, dass du Breslau mal wieder besucht, und dafür haben wir ein paar Insidertipps in unserem Cityblog über Breslau unter http://www.wroclawguide.com zusammengestellt, wir würden uns freuen wenn du mal vorbeischaust!
Ganz viele liebe Grüße aus Breslau!
Ewa & Mirko
Hallo Ewa und Mirko, danke für das Lob! 🙂 Ich werde bestimmt mal wieder nach Breslau reisen, denn mein Aufenthalt war ja etwas kurz. Vorher hole ich mir ganz bestimmt bei euch Insider-Tipps.