Wolfenbüttel liegt irgendwo bei Braunschweig – so viel weiß ich schon, als im Februar der Termin für das Reiseblogger-Camp 2018 bekannt gegeben wird. Ansonsten habe ich die kleine niedersächsische Stadt eher nicht auf dem Schirm, obwohl ich nur höchstens anderthalb Stunden Autofahrt von ihr entfernt aufgewachsen bin. Also habe ich vor dem Blogger-Treffen keine wirkliche Ahnung, welche Sehenswürdigkeiten Wolfenbüttel zu bieten hat und wie viel deutsches Kulturgut man dort überraschenderweise findet.
Am Abend meiner Ankunft poste ich ein paar Fotos von Fachwerkhäusern aus der Wolfenbütteler Altstadt auf meinen Social-Media-Profilen und errege damit die Aufmerksamkeit von Kumpel Željko aus Kroatien. Der ist hin und weg: „Das sieht aus wie im Märchen. Da würde ich gerne leben!“, freut er sich über die Bilder.
In dem Moment wird mir klar, dass ich mehr zu ihm nach Süden schiele und wenig daran denke, dass auch mein Geburtsland Niedersachsen mit reizvollen Orten aufwarten kann. Aber das bemerke ich schon nach der zweistündigen Zugfahrt von Berlin. Ein ICE hat mich bis Braunschweig gebracht – für die restlichen zwölf Kilometer nehme ich eine Regionalbahn. Diese Fahrt dauert nur acht Minuten.
Sehenswürdigkeiten Wolfenbüttel: Altstadt
Steigt man dann am Wolfenbütteler Bahnhof aus dem Zug, ist man ungefähr genauso lange zu Fuß unterwegs, bis man die schnuckelige Altstadt erreicht. Dort fühlt man sich gleich wie in einer guten Stube: Im Gegensatz zur größeren Nachbarstadt, die im Zweiten Weltkrieg flächendeckend zerstört wurde, hat Wolfenbüttel kaum Bomben abbekommen.
Die mittelalterlichen Fachwerkhäuser haben hier also die düsteren Zeiten überlebt und sind mir vertraut, obwohl dies mein erster Besuch in dem rund 53.000 Einwohner starken Städtchen ist. In der Bierstadt Einbeck bin ich zur Schule gegangen, in der Universitätsstadt Göttingen habe ich eine Weile gewohnt und in Goslar hatte ich einen Onkel – in all diesen niedersächsischen Städten ist Fachwerk-Architektur allgegenwärtig.
900 Jahre Wolfenbüttel
In Wolfenbüttel spüre ich eine Art Erwachen – der Ort will endlich auch touristisch wahrgenommen werden. Immerhin feiert er 2018 sein 900-jähriges Jubiläum, was im Laufe des Sommers mit zahlreichen Veranstaltungen zelebriert werden soll. Im Jahr 1118 wurde die Burg Wolfenbüttel zum ersten Mal urkundlich erwähnt und heute kursiert deshalb in den sozialen Netzwerken der Hashtag #wf900.
Eine Stadtbesichtigung beginnt man am besten auf dem Stadtmarkt, dem zentralen Marktplatz mit der Reiterstatue von Herzog August vor dem Rathaus. Der Platz ist von Fachwerkhäusern umsäumt, samstags herrscht hier bis 13 Uhr reges Treiben auf dem Wochenmarkt. An den Ständen werden viele regionale Lebensmittel verkauft. Ich schlendere an den Buden vorbei, probiere an einer Käse, an einer anderen türkische Brotaufstriche.
Casanova in Wolfenbüttel
Vom Stadtmarkt ist es zu allen anderen Sehenswürdigkeiten in Wolfenbüttel ein Katzensprung, zum Beispiel zur Herberge von Giacomo Casanova. Ja, richtig gelesen, den bekanntesten Liebhaber der Geschichte hat es 1764 kurz ins Herzogtum Braunschweig-Lüneburg verschlagen.
Eigentlich verbindet man Casanovas Werk mit einer anderen Tätigkeit (Teamwork mit Frauen, grins), aber in Wolfenbüttel hat er sich laut eigener Aussage nur auf Literatur konzentriert – genauer gesagt, auf die Übersetzung der Ilias von Homer aus dem Griechischen ins Venezianische.
In seinen Memoiren schreibt er: „Ich verbrachte acht Tage in dieser Bibliothek, die ich nur verließ, um zum Essen und zum Schlafen in meinen Gasthof zu gehen. Ich kann diese acht Tage zu den glücklichsten meines Lebens zählen (…).“
Mit der Bibliothek ist die Herzog August Bibliothek gemeint. Dort suchte Casanova nach Büchern, die ihm bei seinen Übersetzungen helfen konnten. Sein einstiger Gasthof wirkt eher unscheinbar. Ohne die Gedenktafel für den in Venedig geborenen Weiberhelden würde man das versteckte Haus kaum registrieren!
Romantisches Klein Venedig
Apropos Venedig: Am Rande des Stadtmarkts zieht mich ein roter Wegweiser magisch in seinen Bann. Auf ihm steht „Klein Venedig“. Ich folge ihm und gelange zu einer Brücke, die an einer Seite mit bunten Frühlingsblumen und Liebesschlössern geschmückt ist. Sie führt über einen Kanal, der sich zwischen Fachwerkhäusern entlangschlängelt.
Früher existierten in Wolfenbüttel ganz viele solcher Grachten, von denen nur einige wenige erhalten geblieben sind. Vor allem Hochwasser war der Grund, weshalb die Kanäle entweder zugeschüttet oder unter die Erde verlegt worden sind.
Die Hauptkirche BMV
In der Wolfenbütteler Altstadt solltet Ihr auf jeden Fall die Hauptkirche BMV (Beatae Mariae Virginis) besichtigen – egal ob Ihr gläubig seid oder nicht. Während protestantische Gotteshäuser für gewöhnlich schlicht und schmucklos ausgestattet sind, kann man in dieser zwischen 1608 und 1624 erbauten Kirche ein krasses Gegenbeispiel bestaunen: aufwendige Engelsfiguren, Goldschmuck und eine prunkvolle Orgel von der Firma Karl Schuke aus Berlin.
Die Hauptkirche verfügt auch über einen Keller der besonderen Art – eine Grabkammer voller jahrhundertealter Särge. Man kann an ihnen vorbeispazieren, sie berühren und sich dabei ein paar gruselige Gedanken machen.
Vor allem sollte man in der Gruft einfach mal schweigen und daran denken, dass hier im 17. und 18. Jahrhundert 29 Mitglieder des Herzogtums Braunschweig bestattet wurden. Die Größe einiger Särge lässt darauf schließen, dass ein Teil der hohen Herrschaften als Kind das Zeitliche gesegnet hat.
Herzog August Bibliothek
An die Herzöge in der Residenzstadt erinnert die 1572 von Herzog Julius gegründete Herzog August Bibliothek. August erblickte zwar erst sieben Jahre nach der Eröffnung das Licht der Welt, doch ihm verdankt die Bibliothek einen Großteil ihrer Schriften aus dem Mittelalter. Schon zu Casanovas Zeiten waren es mehr als 200.000 Bände, weshalb die heiligen Hallen der Literatur auch schon als „achtes Weltwunder“ bezeichnet worden sind.
Als ich durch die hohen, mit Stuck geschmückten Büchersäle wandele, habe ich ein Wow-Erlebnis nach dem anderen. Bis an die Decken türmen sich Buch-Antiquitäten mit Ledereinband, die natürlich nur in den Räumlichkeiten der Herzog August Bibliothek gelesen werden dürfen.
Meine staunenden Augen entdecken antike Malbücher oder altehrwürdige Globen. All das fotografiere ich und darf es nicht im Internet veröffentlichen – gleiches gilt für das Bürgermuseum und das Schloss, wo ich diesbezüglich sogar eine Erklärung unterschreiben muss. Wirklich schade, all diese Kulturschätze hätte ich gerne mit Euch geteilt!
Stattdessen zeige ich Euch Linus, den roten Kater, der die Herzog August Bibliothek als sein Zuhause auserkoren hat. Er bewacht treu die Tür, lässt sich von mir kraulen und scheint so gesprächig zu sein wie alle roten Kater. Diese vierbeinigen Zauberwesen sind die stärksten Persönlichkeiten im Katzenreich – ich weiß, wovon ich spreche!
Lessing: Haus & Theater
Eine andere (noch) weitaus berühmtere Persönlichkeit wohnte eine Zeitlang neben der Bibliothek: Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781). Der Autor von „Nathan der Weise“ oder „Emilia Galotti“ war dort Bibliothekar und Wolfenbüttel gibt sich seinetwegen gerne den Beinamen Lessingstadt.
Sein gelbes Wohnhaus, vor dem eine Nathan-Statue steht, heißt Besucher willkommen. Da allerdings Lessings Haushalt nach dem Tod des großen Schriftstellers aufgelöst wurde, ist von der Einrichtung so gut wie nichts mehr erhalten.
Für Lessing sollte das Haus zu einem traurigen Schicksalsort werden: An Weihnachten 1777 wurde sein Sohn Traugott geboren, der kleine Junge starb am nächsten Tag. Am 10. Januar 1778 folgte Lessings Ehefrau Eva ihrem Baby – Diagnose Kindbettfieber. Von diesem schrecklichen Doppelverlust erholte sich der Dramatiker nie wieder!
Weil aber Wolfenbüttel seiner gedenkt, ist ihm – wie es einem Autor dramatischer Werke gebührt – das Lessing-Theater gewidmet. Es öffnete 1909 zum ersten Mal seine Pforten – 128 Jahre nach Lessings Tod. Der Jugendstil ist innen wie außen allgegenwärtig.
Ich verbringe zwei Nächte in Wolfenbüttel und suche nach abendlicher Unterhaltung. In einer Kleinstadt ein bisschen schwierig: Wie überall in der Provinz werden nach Einbruch der Dunkelheit die Bürgersteige hochgeklappt. Da kommt mir ein Theaterbesuch gerade recht. Am 14. April gastieren Rock4 im Lessing-Theater. Nie vorher gehört, aber ich mag A Cappella Gesang und kaufe mir spontan ein Ticket.
Für diese Jungs lohnt sich echt jeder Cent! Die vier Stimm-Akrobaten aus Maastricht verpassen bekannten Rock- und Popsongs ihren ganz eigenen Stil. Ob Leonard Cohen, die Beatles oder Queen – die Niederländer ziehen stimmlich alle Register und reißen auf der Bühne lustige Sprüche.
Am nächsten Morgen treffe ich sie im Parkhotel Altes Kaffeehaus neben dem Theater beim Frühstück wieder. Ich nutze gleich die Gelegenheit und mache ihnen ein Kompliment, denn das haben sie sich mehr als verdient. Hier auch für Euch eine musikalische Kostprobe von Rock4:
Schloss von Wolfenbüttel
Wahrscheinlich seid Ihr aber nicht wegen Musik auf meinem Blog gelandet, sondern um zu erfahren, welche Sehenswürdigkeiten Wolfenbüttel sonst noch bietet, oder? Ein absolutes Highlight ist das Schloss – das zweitgrößte in Niedersachsen nach dem Leineschloss in der Landeshauptstadt Hannover. Zwischen den Jahren 1432 und 1754 war es Residenz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, heute beherbergt es ein Gymnasium und ein Museum.
Schon von außen ist das Wolfenbütteler Schloss ein Blickfang mit dem Wassergraben, den Statuen am Hauptportal und dem majestätischen Turm. Am 14. April dient diese edle Kulisse einem Paar zum Heiraten.
Als Kulisse war es auch einmal anderweitig im Einsatz: Der Innenhof ist einer der Schauplätze im Film „Der ganz große Traum“ (2011) mit Daniel Brühl. Auf der Leinwand wurde das alte Braunschweig dargestellt, aber das existiert ja leider seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Also wählten Regisseur Sebastian Grobler und sein Team als Set Wolfenbüttel.
In vergangene Zeiten wird man dort sogar ohne Kinokarte oder schauspielerisches Talent versetzt – im Schlossmuseum, das dienstags bis sonntags zwischen 10 und 17 Uhr für 5 Euro Eintritt zugänglich ist. Wie bereits erwähnt, darf ich online keine Fotos der luxuriös ausgestatteten Herzogen-Gemächer präsentieren. Dabei bin ich ganz fasziniert von den Seidentapeten, den Fußböden und Möbelstücken voller Intarsien, den opulenten Leuchtern und den royal gedeckten Tafeln. Da möchte ich doch glatt ein paar Tage Herzogin spielen!
Bürgermuseum Wolfenbüttel
Nachdem ich in meinen Straßenklamotten durch diese kulturell wertvollen Hallen geschritten bin, gehe ich ein paar Meter weiter ins Bürgermuseum von Wolfenbüttel. Das Schloss, die Herzog August Bibliothek, das Lessing-Haus und diese Sehenswürdigkeit sind quasi alle benachbart!
Der Eintritt im Bürgermuseum, das die gleichen Öffnungszeiten wie das Schloss hat, ist frei. Wolfenbütteler Bürger und Vereine haben hier rund fünf Jahrhunderte Stadtgeschichte zu einer topmodernen, interaktiven Sammlung zusammengetragen. Zum Beispiel erfährt man, dass bis 1954 eine Straßenbahn zwischen Wolfenbüttel und Braunschweig verkehrte oder dass die Stadt lange vor 1933 nach München DIE Nazi-Hochburg Deutschlands war.
Ein hässliches Kapitel – es gibt jedoch auch richtig stylische wie die Torten-Kreationen aus der 2004 geschlossenen Konditoren-Fachschule von Bernhard Lambrecht oder die beliebten 50er-Jahre-Phonomöbel aus dem Hause Kuba, das 1966 an General Electric verscherbelt wurde.
Sehenswürdigkeiten Wolfenbüttel plus
Für die Schnapsdrosseln unter Euch noch eine Info, die ich Euch bis zum Schluss vorenthalten habe: Der Kräuterschnaps Jägermeister kommt aus Wolfenbüttel und in der Fabrik werden hin und wieder Verköstigungen veranstaltet. Pfui, nichts für mich, aber vielleicht für Euch.
Während Ihr Euch mit Jägermeister abfüllt, mache ich lieber einen langen Spaziergang durch die Okerauen – immer am Wasser entlang und in der Strandbar genehmige ich mir einen fruchtigen Cocktail! (as)
Bloggen kostet Zeit und Geld. Schätzt du meine Arbeit? Dann freue ich mich über einen Energieausgleich in meiner virtuellen Kaffeekasse bei Paypal › Spenden für Reise-Liebe
Also auf nach Wolfenbüttel? Ein sehr ansprechender Blogartikel. Super geschrieben mit tollen Fotos.
Liebe Annika,
großartige, was du aus dem kurzen und recht vollen Programm gemacht hast. Auf das A-Capella-Konzert bin ich ja echt neidisch. Mensch, was für ein Glück, dass du dich dazu entschieden hast.
Ich hab noch mal richtig viel beim Lesen gelernt. Das hatte ich gar nicht mitbekommen, hatten wir denn unterschiedliche Touren?
Liebe Grüße
Daniela
Hi Daniela,
danke für das Kompliment! Ja, ich habe das Konzert sehr genossen, es war auch direkt neben meinem Hotel. Wir hatten, wie ich mich erinnere, unterschiedliche Stadtführer. Meiner war schon etwas älter und hieß Klaus Wittchen.
LG
Annika
Hallo da und danke fuel das Alles ueber Wolfenbuettel. Bin 1957 in Wolf. geboren und mit 10 sind wir nach Muenchen umgezogen. Habe Wolfenbuettel noch in guter Erinnerung und moechte gerne wieder mal da hin. Gruesse aus Australien.
Ja, Wolfenbüttel ist gemütlich. Ich war dort vor drei Jahren bei einem Reiseblogger-Treffen. Grüße von Finnland nach Australien!