Im Sommer sollte man in Berlin so viel Zeit wie möglich am Wasser verbringen. Wenn ich einen Bereich nennen müsste, der die Stadt l(i)ebenswert macht, dann ist es die Natur. Dahinter kommt eine ganze Weile erst mal nichts! Schon Ende August 2016 habe ich mich auf das Abenteuer Kanu am Wannsee eingelassen.
Der Touren-Veranstalter Faszination Kanu bietet sechsstündige Kanu-Touren über die kleine Havelseenkette zwischen Berlin und Potsdam. Regulär kostet so ein Ausflug 36 Euro, mit einem ständig erhältlichen Groupon-Gutschein zahlt man aber nur die Hälfte.
Schon das zweite Kanu-Abenteuer
Kanu-Fahrten in der Hauptstadt sind also heiß begehrt, so dass ich im schönen Sommer 2016 ein paar Wochen im Voraus buchen musste, um an einem Sonntag von Potsdam nach Wannsee zu paddeln. Weil es so ein tolles Erlebnis war, kaufe ich mir den gleichen Groupon-Gutschein noch einmal, darf mich dann aber auf eine neue Route freuen. Los geht’s am Forum Wannsee in der Hohenzollernstraße 13 C.
Peilt man diese 70 Jahre alte Bildungseinrichtung zum ersten Mal an, könnte der Weg ein bisschen kompliziert sein. Wer mit Öffentlichen unterwegs ist, fährt am besten mit der S-Bahn bis Wannsee und von dort mit dem Bus 316 Richtung Glienicker Brücke bis Rathaus Wannsee. Nach 750 Meter Fußmarsch steht man vor dem Gartenzaun, braucht nur noch in den Garten zu gehen und ist am Start.
Kanu am Wannsee: der Start
Als ich am 27. August kurz vor 11 Uhr dort aufschlage, haben sich der Veranstalter Gerhard Hagemeier und der Großteil der Gruppe schon am Ufer des Pohlesees versammelt. Die Kanus hängen fein säuberlich auf einem Anhänger und das Equipment wie Paddel, Trockenbeutel, Tonnen für Wertsachen und Schwimmwesten befindet sich in einer Hütte daneben.
Zusammen mit Gerhard sind wir 16 Kanuten, so dass wir Vierer-Teams bilden können – gut für mich, denn ich bin wieder mal alleine unterwegs. Der Rest sind Paare und eine vierköpfige Familie. Manche sind noch nie Kanu gefahren. Kein Problem – unser Guide gibt eine ausführliche Einführung, die bestimmt eine halbe Stunde dauert.
Vierer-Teams im Kanadier
Bei den roten Booten handelt es sich um sogenannte Kanadier, die man im Gegensatz zum Kajak mit einem einfachen Paddel fortbewegt. Das heißt, man stößt das Wasser immer in die gleiche Richtung weg, falls man zwischendurch nicht die Seite wechselt. So ein Wechsel ist aber dringend zu empfehlen, damit sich der Paddelarm zwischendurch mal ausruhen kann.
Ich paddele bis zur Pause nach links und sitze im Kanu auf der dritten Position. Ganz hinten nimmt wie im Kajak der Steuermann Platz – in meinem Vierer-Team ist das der Chef selbst. Ich bin ganz glücklich darüber, denn Gerhard ist sehr gesprächig und weiß viel über die Gegend. Es kommt also im Boot wieder zu einer netten Plauderei.
Idylle am Stölpchensee
Vom Pohlesee geht es bei Sonnenschein und Gegenwind in den Stölpchensee, vielleicht eine der hübschesten See-Idyllen von Berlin. Am Ufer stehen noble Villen – davon werden wir im Kanu am Wannsee und Griebnitzsee noch so einige zu sehen bekommen.
Am Ende des Stölpchensees legen wir eine kurze Sammelpause ein. Die Familie hat anfangs Schwierigkeiten, das Kanu unter ihre Kontrolle zu bringen, doch ein paar Kilometer später haben alle den Dreh raus. Zwei Kerle und ein älteres Ehepaar schießen wie ein roter Blitz an allen vorbei. Dabei behauptet der Steuermann nach der Tour, dass das seine Jungfernfahrt im Kanu gewesen sei. So ganz kann ich ihm das nicht glauben!
Traumhafte Berliner Natur
Ich greife immer mal wieder neben mich in die Tonne, um von der herrlichen Wasserlandschaft Fotos zu machen. Obwohl ich 16 Kilometer Workout für die Arme vor mir habe, laden sich hier draußen meine Batterien blitzschnell wieder auf. Sonst paddele ich eher in Kroatien und wünsche mir täglich, häufiger und länger dort zu sein. Hier draußen am Wasser fühle ich mich auch sauwohl. Das ist das Berlin, das ich liebe!
Hochherrschaftliche Villen am Ufer
Am Ufer des Griebnitzsees ist ein Rest Berliner Mauer erhalten geblieben. Daneben wurden im Ex-Niemandsland aber schon so einige Luxusdomizile errichtet. Wenn man ein Stück weiter paddelt, kann man zur Linken eine altehrwürdige Villa neben der anderen bewundern. Gerhard und ich sind uns einig, die modernen Luxus-Betonklötze mit den Glasfassaden nicht zu mögen.
Auffällig ist, dass auf den britisch blank gestutzten Rasenflächen und den Terrassen der Villen nicht eine Menschenseele die Sonne genießt. Wo sind die Megareichen von Berlin und Potsdam? Schippern sie mit ihren Yachten an der Côte d’Azur entlang? Nur in einem Garten scheint ein einsames Promi-Kind mit Hüpfburg und bunten Helium-Ballons Geburtstag zu feiern.
Das nächste Highlight in der linken Uferseite ist der romantische Schlosspark Babelsberg mit der „Kanu-Waschanlage“ (O-Ton Gerhard). Wären wir zwischendurch gekentert, könnte es sicher lustig werden, sich unter der riesigen Fontäne im Kanu noch eine Dusche zu holen. Wer schon nass ist, der verträgt auch noch mehr! Ohne vorheriges Kentern bewundern wir das wasserspuckende Etwas nur von Weitem.
Grüntöne der Glienicker Brücke
Kurz vor der Glienicker Brücke sammeln wir uns noch einmal mit der Gruppe an einer Boje – eine gute Wahl, denn dahinter werden wir mit Wind und hohen Wellen zu kämpfen haben. Nur auf dem Wasser registriert man, dass die Glienicker Brücke in zwei Farben gestrichen ist: auf der Potsdamer Seite in hellem Warschauer-Pakt-Grün und auf der Berliner Seite in dunklerem Nato-Grün. Eine gelbe Markierung in der Brückenmitte deutet auf die ehemalige Zonengrenze hin. Um an dieses Kapitel deutsch-deutscher Geschichte zu erinnern, wurden die Brückenfarben beibehalten.
Rast im Wirtshaus Moorlake
Ein einziges Mal bekomme ich im Kanu kurz einen leichten Schreck, als ein Windzug mit Welle das Boot fast zur Seite stößt. Das Ufer ist nah und auf der anderen Seite ragt die Kirche von Sacrow empor. Schräg gegenüber in einer geschützten Bucht machen wir unsere Pause im 1810 erbauten Wirtshaus Moorlake, wo reger Sonntagsbetrieb herrscht.
Am Sandstrand können wir die Boote deponieren und brauchen nur noch ein paar Meter zu den Tischen im Seeblick-Garten zu laufen. In dieser Berliner Enklave für Dackelbesitzer (in mein Blickfeld spazieren tatsächlich mehrere) sind „vegan“ und „laktosefrei“ offensichtlich noch Fremdwörter. Die Speisekarte konzentriert sich auf typisch deutsche Gerichte zu stolzen Preisen. Ein Schnitzel kostet über 20 Euro, für meine lauwarmen Bandnudeln mit Pesto, Tomaten, Rucola und Parmesan zahle ich 13,80 Euro.
Für Gerhard ist das Wirtshaus Moorlake nur eine Notlösung. Auf der früheren Potsdam-Tour fand die Pause in einer Pizzeria in der Nähe des S-Bahnhofs Griebnitzsee statt – bei kleineren Preisen und größeren, mit Liebe gekochten Portionen! Weil der Blick auf den See so nett ist und mir die Weite der Seenlandschaft positiv aufs Gemüt schlägt, nehme ich den einzigen Minuspunkt der Kanu-Tour trotzdem gerne in Kauf. Ich hatte ja vorher eh Hunger!
Vorbei am UNESCO Weltkulturerbe
Die zweite Streckenhälfte im Kanu führt über die Havel an der Pfaueninsel vorbei. An diesem UNESCO-Weltkulturerbe ist es streng verboten, mit einem privaten Boot anzulegen. Die Fähre, die vielleicht 100 Meter überbrückt, ist der einzige Zugang zur Insel. Wir betrachten sie nur zur Linken und biegen in den großen Wannsee ab.
Im Kanu am Wannsee sieht man nicht nur das berühmte Strandbad, sondern wieder mal einen Prachtbau nach dem anderen. Die Villen reihen sich vor allem am kleinen Wannsee aneinander und im Boot rätseln wir, welcher Star darin wohl residiert. Gerhard vermutet überall eine 83-jährige Witwe mit ihrem 30-jährigen Gärtner … 😉
Kanu am Wannsee: Muskelkater
Das Ufer betrachten wir diesmal mit wenig sportlicher Anstrengung. Seit wir den Wannsee erreicht haben, bläst der Wind nämlich von hinten, so dass wir fast mühelos zurück an den Strand am Forum Wannsee gespült werden. Niemand ist gekentert, auf Grund gegangen oder mit einem Ausflugsdampfer zusammengestoßen.
Um kurz vor 18 Uhr bin ich rundum zufrieden, weil ich mir a) die Faszination Kanu am Wannsee gegönnt und mir b) wieder mal bewiesen habe, dass ich einige Facetten von Berlin durchaus schätze. Gegen das bisschen Muskelkater in den Armen schlucke ich später eine Tablette. (as)
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