Ostseeradweg R10 Polen: von Swinemünde nach Danzig

Ostseeradweg R10 durch Polen

Schon Anfang des Jahres steht für mich fest, dass ich auf dem Ostseeradweg R10 Polen erkunden will. Wie viele organisierte Radreise-Anbieter wähle ich als Start Swinemünde und als Ziel Danzig. Meine bisher längste Radreise, die ich spontan eine Woche nach meinem Abenteuer auf dem Berlin-Usedom-Radweg realisiere. Nachdem die deutsch-polnische Grenze am 13. Juni wieder geöffnet hat, ergreife ich vor weiteren eventuellen politischen Einschränkungen schnell die Gelegenheit beim Schopfe.




Mit der Bahn fahre ich von Berlin nach Usedom und genieße am 27. Juni erst einmal das Strandwetter in Swinemünde. Zum ersten Mal seit meiner Kindheit bade ich in der Ostsee, grabe meine Füße im heißen Sand ein und freue mich über die Normalität im polnischen Teil der Insel. Zum ersten Mal in meinem Leben macht es mir Spaß, mich an einem Strand aufzuhalten, wo Urlauber dicht an dicht wie Sardinen in der Sonne brutzeln.

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Strand von Swinemünde
Baden in Swinemünde, Foto: Reise-Liebe

Ostseeradweg R10 nach Pobierowo

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Mit der kostenlosen Stadtfähre verlasse ich Usedom und folge am nächsten Morgen dem R10-Wegweiser Richtung Misdroy. Der erste Teil dieser Etappe auf dem Ostseeradweg durch Polen schlängelt sich durch einen Wald mit sandigen Abschnitten, die so schlitterig sind, dass ich ab und zu mein Fahrrad schiebe. Dabei beobachte ich Schwärme von Vögeln und erfahre, dass hier auch Eulen leben.

Wer auf dem Ostseeradweg R10 Polen durchquert, stößt rasch auf Komplikationen. Meine ersten machen sich in Misdroy bemerkbar, als die Ausschilderung der Strecke dürftig wird. Es dauert eine Weile, bis ich das Tor zum Nationalpark Wollin finde. Mein Navi ist keine Hilfe, nur eine Landkarte beim letzten Wegweiser bewahrt mich davor, die Radtour nach Pobierowo komplett mit einer Fahrt über eine stark frequentierte Autostraße zu versauen.

Nationalpark Wollin
Nationalpark Wollin, Foto: Reise-Liebe

Stattdessen radele ich über einen Waldweg an einem Wisent-Gehege vorbei, kühle meine Füße hinter Warnowo im Czajcze-See ab und treffe im Dorf Kołczewo wieder auf die Landstraße. Auf ihr geht es weiter zum Etappenziel, der Urlaubsverkehr rast an mir vorbei, denn eine Spur für Radfahrer existiert nicht. Als ich mich in Pobierowo endlich in der Ostsee erfrische, fällt mir ein Stein vom Herzen.

Das einstige Poberow ist ein typisch polnischer Urlaubsort mit zahlreichen Eis- und Waffelbuden an der Promenade. Nicht nur einmal lasse ich mir während der Reise Lody und Gofry schmecken. Am liebsten mag ich die mit Eis und Obst gefüllten Bubble-Waffeln, die ich erstmals 2017 in Danzig gekostet habe.

Ostsee in Pobierowo
Strand in Pobierowo, Foto: Reise-Liebe

Etappe 2 nach Kolberg

Der Ostseeradweg R10 bringt mich am nächsten Morgen nach Kolberg, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs Kołobrzeg heißt. Küstennah strampele ich durch Badeorte wie Rewal und mache einen kurzen Stopp am Leuchtturm von Niechorze. Erneut verlieren sich die Wegweiser, doch mein Orientierungssinn und mein Navi leiten mich durch Wälder und Felder in das pommersche Seebad, wo sich neben einheimischen auch viele deutsche Touristen tummeln.

Nach Wegen voller Schotter, Kopfstein und Betonplatten stürze ich mich in die Ostsee und dann ins Getümmel, das sich rund um die Seebrücke, die Mole und den Leuchtturm an der Befestigungsanlage Fort Münde konzentriert. Ich lausche Musikern und lasse den Tag mit Prosecco im traumhaften Sonnenuntergang am Strand ausklingen.

Ostseeradweg nach Kolberg
Leuchtturm auf Fort Münde, Foto: Reise-Liebe

Küstennah nach Darłowo

Mein drittes Etappenziel auf dem Ostseeradweg R10 ist Darłowo, ehemals Rügenwalde. Dieser Streckenabschnitt macht mich glücklich, weil er erstens top beschildert ist und lange Zeit durch strandnahe Wälder verläuft. Erst in Łazy bei Mielno (Groß Möllen) macht der Radweg einen Knick nach Süden und verlässt die Küste. In Osieki treffe ich auf den Jezioro Jamno, zu Deutsch Jamunder See. Das lagunenartige Gewässer eignet sich wunderbar für eine Pause, immerhin bläst mir ein kräftiger Wind um die Ohren.

Jezioro Jamno
Jamno-See, Foto: Reise-Liebe

Nach Darłowo gelange ich über Feldwege und Landstraßen mit gut ausgebauten Radwegen. Rügenwalde hat ein malerisches Stadtzentrum mit einem bunten Marktplatz, der nostalgische Gefühle weckt. Die Stadt liegt nicht direkt an der Ostsee. Nur wenige Kilometer des Radwegs R10 trennen sie vom Badeort Darłowko. Im Hafen starten Ausflugsboote, Urlauber werden mit einem Rummelplatz, Marktständen und Eisbuden bespaßt. Inmitten einer nordisch rauen Brise wate ich mit den Füßen durchs Wasser und höre der Musik der Wellen zu.

Marktplatz von Darlowo
Marktplatz von Rügenwalde, Foto: Reise-Liebe

Familiengeschichte in Stolp

Mein Etappenziel Nummer vier unterscheidet sich von organisierten Polen-Reisen auf dem Ostseeradweg R10. Statt in Ustka (Stolpmünde) buche ich eine Unterkunft in Słupsk. Diese in einem Talkessel gelegene Stadt trug bis 1945 den Namen Stolp und war die Heimat meiner Großeltern väterlicherseits. Schon mindestens vier Jahre habe ich den Plan vor mir hergeschoben, meine verbrannten Wurzeln zu ergründen.

Um Pommerns Natur besonders intensiv wahrzunehmen, wähle ich als Fortbewegungsmittel mein Fahrrad. In der näheren Umgebung entdecke ich Seen, Wiesen, Felder, Wälder und sandigen Boden, auf dem ich nach meiner Stippvisite in Stolp ausrutsche. Ich falle weich.

Alte Straßenbahn in Slupsk
Alte Straßenbahn in Stolp, Foto: Reise-Liebe

Der Besuch der Stadt fühlt sich an wie ein Gang über einen Friedhof, trübes Schauerwetter verstärkt das Gefühl. Einzelne Gebäude, darunter Kirchen, sind aus der alten Zeit erhalten geblieben. Der Rest des Stadtzentrums und somit auch die Elternhäuser von Oma und Opa gingen im Feuer der Roten Armee in Flammen auf. Ein Waggon der Straßenbahn, die längst nicht mehr fährt, dokumentiert, wo sich meine Großeltern kennengelernt haben. Ich suche nach Bruchstücken meiner Familiengeschichte und akzeptiere, dass sich das Puzzle niemals komplett fügen wird. Pommernland ist abgebrannt und meine Heimat ist der Weg, nicht das Ziel.

Neutor in Slupsk
Neutor in Stolp, Foto: Reise-Liebe

Abenteuer Ostseeradweg nach Łeba

Auf meinem Weg trägt mich mein Fahrrad weiter nach Łeba. Bei meiner Abfahrt in Słupsk ahne ich noch nicht, dass ich fast neun Stunden brauchen werde. Der Grund ist der Zustand von Ostseeradweg R10. Kilometerweiter Treibsand zwingt mich zum Schieben. Immer wieder versinke ich im Boden, gerate ins Wanken und fange mich ab. Es handelt sich um eine offizielle europäische Radroute, deren Beschaffenheit auf dieser Etappe weitgehend eine Katastrophe ist! Einmal verlasse ich R10 absichtlich und bahne mir mit dem Navi den Weg über ähnlich abenteuerliche Pfade.

Ostseeradweg R10 bei Ustka
Ostseestrand bei Ustka, Foto: Reise-Liebe

Die wirklichen Herausforderungen beginnen in Kluki. Ab hier schlängelt sich der Radweg über Trampelpfade und ein paar Holzstege durch den Slovinsky Nationalpark. Die überwältigende Natur im Moor empfinde ich als anstrengend, besonders als ich mit meinem bepackten Rad im Matsch einsacke. Während Frösche quaken, Vögel singen und Libellen durch die Luft schwirren, fluche ich nicht nur einmal. Die Strecke wäre ein Hochgenuss, wenn der Weg die ganze Zeit über Holzplanken verliefe.

Tut er aber nicht! Irgendwann finde ich mich auf überwucherten Betonplatten wieder, ehe ich aufs Neue in einem Wald durch tiefen Sand wate. An Bäumen rechts und links des Weges prangt frech das Zeichen R10.

Slovinsky Nationalpark
Slovinsky Nationalpark, Foto: Reise-Liebe

Wanderdüne Wydma Łącka

Erst am nächsten Morgen mache ich bei Łeba einen Abstecher in die Wanderdüne Wydma Łącka (Lontzkedüne). Dieses Naturwunder aus Sand gehört zum Slovinsky Nationalpark, die Besichtigung kostet sieben Złoty. Der Name der Düne stammt von dem Dorf Łącka, das in der Vergangenheit von gewaltigen Sandmassen begraben wurde.

Naturbelassen baut sie sich Hügel und zieht sich von der Ostsee bis zu den Bäumen am Rande des Lebasees. Über einen gut ausgebauten Waldweg erreiche ich den Eingang zur Düne, von dort stapfe ich zu Fuß durch den Sand.

Wydma Lacka
Lontzkedüne, Foto: Reise-Liebe

Ostseeradweg R10 nach Krokowa

Auf dem Weg nach Krokowa (Krockow) habe ich darin also schon Übung, denn auf dieser Etappe muss ich ebenfalls sandige Waldwege bezwingen. Bei Biała Gora (Weiße Höhe) zieht sich der Ostseeradweg R10 auf einem angenehmen Schotterweg durch einen duftenden Kiefernwald an der Küste. Hier lohnt sich eine Pause am endlos langen weißen Ostseestrand.

Die Idylle wird mir wieder genommen, als die Wegweiser verschwinden und mich mein Navi auf eine Autostraße lotst. Etwa zwölf Kilometer trennen mich an der Stelle noch von Krokowa, wo einst die Familie von Krockow in einem Schloss residierte. Heute beherbergt es ein Museum.

Schloss Krockow
Schloss Krockow, Foto: Reise-Liebe

Per Fähre von Hel nach Danzig

Meine letzte Etappe auf dem Ostseeradweg R10 gestalte ich so, wie es die meisten organisierten Radreisen vorschlagen. Statt nach Danzig strampele ich über die Halbinsel Hel bis zur Spitze, von wo eine Fähre zum Ziel meiner Reise schippert. Diese Wahl erweist sich als richtig, weil der Radweg ein Traum ist und ich eine Bootstour als entspannten krönenden Abschluss empfinde.

Ostseeradweg R10 in Hel
Neptun-Statue in Hel, Foto: Reise-Liebe

Auf der schmalen bewaldeten Landzunge reiht sich ein Campingplatz an den anderen, im Süden vergnügen sich Surfer und Kite-Surfer. Nachdem ich mir im Hafen von Hel für 65 Złoty ein Bootsticket besorgt habe, nutze ich meinen fast vierstündigen Aufenthalt für einen letzten Strandbesuch. Noch einmal lege ich mich in puderweißen Sand und lasse meine Haut vom Wasser der Ostsee umspülen. Eine knapp dreistündige Bootsfahrt mit Stopps in Sopot und Westerplatte trennt mich noch von Danzig.

Straßenkunst in Danzig
Straßenkunst in Danzig, Foto: Reise-Liebe

Normalität in Danzigs Altstadt

In der Altstadt lässt sich das Jahr 2020 kaum erahnen. Maler, Musiker und Feuer-Akrobaten bevölkern die Straßen, aus vollen Restaurants ertönt Live-Musik. Ich erfreue mich an der abendlichen Unterhaltung und lasse die Normalität auch am nächsten Morgen noch einmal auf mich wirken. Erst im deutschen Regionalzug von Stettin nach Berlin wünsche ich mir eine Augenmaske herbei.

Das erste Video meines Abenteuers auf dem Ostseeradweg R10 kannst Du Dir hier anschauen. Alle weiteren folgen nach und nach auf meinem YouTube-Kanal. (as)

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10 Gedanken zu „Ostseeradweg R10 Polen: von Swinemünde nach Danzig“

  1. Sand und Betonplatten, genau daran erinnere ich mich auch. Zumal der Sand aus unerfindlichen Gründen total unterschiedlich ist. Hinter Mielno gibt es gibt es 2 Seen. Am ersten führt der Radweg an der Ostsee entlang vorbei, dann biegt der Weg wie beschreiben ab. Wir wollten abkürzen und am Strand weiterfahren, ein schwerer Fehler. Direkt am Strand ging garnichts nur Schieben durch den Sand, nach einigen Kilometern gab es einen Weg hinter der Düne, der aber so sandig war, dass auch hier das Schieben zu Qual wurde. Im Gegensatz dazu kann man sich den Umweg über Kluki sparen. Von Rowy durch den Nationalpark Richtung Czolpino, dann Richtung Strand (Czerwona Szopa), dort ist der Sand aus unerklärbaren Gründen anders, man kann auf dem Streifen, der von Wellen überspült wird und feucht ist recht gut bis zur Wanderdüne fahren. Ca. 12 km, auf denen man fast niemandem begegnet bis zur Wanderdüne, nach deren Besichtigung noch ein Stück weiter, dann landeinwärts zur Straße Richtung Leba. Die Schifffahrt von Hel nach Danzig ist Klasse, vor Danzig ist praktisch eine Hafen- und Werftrundfahrt inclusive. Allerdings fahren außerhalb der Ferienmonate Juli/August deutlich weniger Schiffe, hier sollte man sich vorher informieren.

  2. Wir sind gestern „nur“ von Swinemünde bis Mistroj gefahren, durch den Wald, es war wie beschrieben: Waldboden, Sand, Steine, Platten, alles ordentlich holprig, bisweilen recht unwegsam. Aber man gewöhnt sich daran. Mit GoogleMaps ist der Weg nicht zu verfehlen. Eine wichtige Information: in einer Strecke von etwa 2 bis 3 km Länge westlich Mistroj führt direkt am Strand hinter den Dünen ein neuer tadelloser Radweg, der auch als solcher ausgeschildert ist, entlang. Er dürfte in den nächsten Jahren auf unserer Strecke fertiggestellt sein und den Weg durch den Wald abgelöst haben. Es lohnt sich das zu beobachten!
    H.J. Niether, Lübeck

    1. Danke für die Schilderung! Ja, es wäre wirklich gut, wenn es da ein paar Verbesserungen auf der Strecke gäbe. Trotzdem erinnere ich mich gerne an diese Tour.

  3. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht.Wir sind 4 Radfahrer und haben schon etliche Kilometer in Deutschland gemacht.Übernächstes Jahr ist dann der Ostseeradweg in Polen dran.Sehr zu empfehlen ist der Elberadweg von Magdeburg Richtung Wendland ……..Natur Pur.
    Gruß aus dem Vorharz

    1. Danke für den Tipp! Auf dem Elbe-Radweg bin ich mal von Dresden Richtung Prag gefahren. Darüber gibt es auch einen Artikel hier in meinem Blog.

  4. Vielen lieben Dank für diese Impressionen. Bislang kenne ich nur das Stückchen von Swinemünde bis kurz hinter Dziewnowek – da bin ich seinerzeit dann nach Golczewo/Gülzow abgebogen zu meinen „Wurzeln“. 2023 soll es dann aber, von Kiel ausgehend, bis Danzig gehen (ebenfalls Wurzeln), dann weiter über den Green Velo und die litauischen Radwege LT5 und LT2.

    1. Oh, das wird sicher eine spannende Tour! Ich bin auf dieser Radreise auch zu meinen „Wurzeln“ gepilgert. Auf meinem YouTube-Kanal gibt es darüber ein Video.

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