Schon im Winter plane ich, Ostern eine längere Radtour auf dem Fontane Radweg zu machen. Da ich ja im März auf Mallorca wandern gehe und Ende April in Kroatien und Slowenien, halte ich es für eine tolle Idee, zwischendurch das Berliner Umland zu erkunden. Der Corona-Lockdown durchkreuzt meine Reisepläne. Während sich nun viele Reiseblogger-KollegINNen in den sozialen Medien mit dem Hashtag #stayhome in Szene setzen, lautet mein Motto „gothef*ckout“! Corona zeigt mir, wie wunderschön die Natur vor der Haustür ist. Der Wind in den Baumkronen füllt mich mit Energie, auch wenn er mir noch so heftig entgegen bläst.
Obwohl ich an keinem Etappenziel auf dem Fontane Radweg übernachten darf, realisiere ich meine Radreise trotz des allgemeinen StayHome-Tenors in der Blogger-Szene. Alle Fontane-Orte sind innerhalb von höchstens 90 Minuten mit Regionalzügen erreichbar – geschlafen wird in den eigenen vier Wänden in Berlin. Ich bin nicht die Einzige, die es über Ostern mit dem Fahrrad ins brandenburgische Umland zieht. Die Züge sind jedoch so leer, dass es immer möglich ist, den behördlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einzuhalten. Diese Anweisung befolge ich.
Fontane Radweg Oranienburg – Gransee
Schloss Oranienburg
Der Start meiner Radtour auf den Spuren von Theodor Fontane ist vor dem Schloss in Oranienburg. Von diesem schneeweißen Prachtbau war der wohl erste Brandenburg-Blogger fasziniert, denn eine Liebesgeschichte umrankt das Schloss. Kurfürstin Luise Henriette, geborene Prinzessin von Oranien, begeisterte sich für das fruchtbare Land am Rande der Havel. Daraufhin schenkte der Kurfürst ihr das Schloss, das sie Oranienburg nannte. An Karfreitag 2020 ist es wie der angrenzende Park geschlossen. Ich habe aber ein ganz anderes Problem: Wo sind in Schlossnähe Wegweiser für den Fontane Radweg? Alle Schilder, die ich in Oranienburg ausfindig mache, leiten mich fehl. Auch mein Navi auf Google Maps führt mich in die Irre. Da hilft nur eines: Leute fragen – mit Abstand, wohl gemerkt! 😉
Verfahren – Leute fragen!
Auf dem Radweg bei Sachsenhausen treffe ich auf ein Vater-Tochter-Gespann, das ebenfalls zum Schloss Liebenberg radelt. Wie es der Zufall will, ist der Herr ein Kollege: ein Lokaljournalist beim Generalanzeiger. In seinem Blatt will er von dem Ausflug berichten und interviewt unterwegs kurz Betreiber von Imbissbuden über die aktuelle Situation. Ich schließe mich den beiden an und durchquere Dörfer, die eigentlich nicht auf meiner Route liegen sollten. Zum Beispiel Teschendorf, wo die Kirchturm-Uhr nur einen Zeiger hat. Einen zweiten hätten sich die Teschendorfer beim Bau ihrer Kirche nicht leisten können, erklärt mir der Reporter.
An der Abzweigung nach Grüneberg trennen sich unsere Wege. Vater und Tochter biegen nach rechts ab und ich folge der Straße nach Löwenberg, wo ich endlich auf den offiziellen Fontane Radweg gelange. Ich halte an der malerischen Kirche und erfahre auf einer Infotafel, dass es einst eine Löwenberger Burg gab, auf deren Kellergeschoss im 18. Jahrhundert das Schloss Löwenberg errichtet wurde.
Hinter Neulöwenberg lotst mich der Weg auf eine autofreie Fahrradstraße Richtung Liebenberg. Am Waldrand mache ich ein Picknick, was in Corona-Zeiten keine Selbstverständlichkeit ist. Viele Picknickplätze sind mit rotweißem Plastikband abgesperrt. Je näher sich die Futterstellen für Homo Sapiens an Ortschaften befinden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Spezies Mensch von pflichtbewussten Artgenossen vertrieben wird. Im Dorf Großmutz kontrollieren sogar zwei Damen vom Ordnungsamt Radfahrer, die es wagen, sich auf eine Bank vor der Kirche zu setzen.
Schloss Liebenberg
Ich lasse mir in einem Pavillon am Waldrand meinen Udon-Nudelsalat mit vielen frischen, gesunden Zutaten schmecken, räume das Plätzchen für zwei Wanderer und strampele durch den Wald zum Schloss Liebenberg. Der Weg ist teilweise unbefestigt und sandig, so dass zwischenzeitlich Schieben und Verweilen an einem See angesagt ist. Ich genieße die idyllische Abgeschiedenheit und stoße vor dem verschlossenen Schloss auf so manchen Ausflügler. Ein Nebeneingang wurde offen gelassen, so dass man sich wenigstens Zugang zum weitläufigen Schlosspark verschaffen kann.
Theodor Fontane war eng mit dem Gutsherrn Philipp Graf zu Eulenburg befreundet und besuchte Schloss Liebenberg häufig. In Zeiten scheinbarer Normalität ist es möglich, im Rahmen einer Fontane-Ausstellung durch die historischen Gemächer zu wandeln. Im sogenannten Krisenzustand drehe ich eine Runde durch den sonnenverwöhnten Schlosspark und fahre auf dem gleichen Weg zurück nach Löwenberg. Wegen meiner falschen Fährte zu Beginn der Tour bleibt mir auch gar nichts anderes übrig, um mein Etappenziel Gransee zu erreichen!
Schlösser Hoppenrade & Meseberg
Am Rande des mehr oder weniger hügeligen Weges liegen weitere Schlösser: Schloss Hoppenrade und anschließend Schloss Meseberg, wo Staatsgäste der Bundesregierung logieren. Letzteres wirkt dementsprechend wie ein Hochsicherheitstrakt. Nur noch ein ausgedehntes Waldstück trennt mich von Gransee, die meiste Zeit lasse ich mich den Berg hinabrollen. Ehe ich mich am nächsten Morgen der Altstadt widme, nehme ich nach schätzungsweise knapp 50 Kilometern des Weges den Regio nach Berlin.
Fontane Radweg Gransee – Neuruppin
Zu Hause sichte ich das Filmmaterial der ersten Etappe und mache Kartoffelsalat. Dann steige ich Ostersamstag wieder in den Zug, der mich innerhalb einer Dreiviertelstunde zurück nach Gransee schleust. Die Zubringer-Schilder für den Fontane Radweg sind am Bahnhof nicht zu übersehen. Ich weiß auch längst, an welcher Abzweigung in der mittelalterlichen Altstadt ich meine Strecke fortsetze. Zunächst kurve ich durch das Kleinod brandenburgischer Architektur.
In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ geht Fontane auch auf Gransee ein. Er erwähnt geschichtsträchtige Gebäude wie die Marienkirche, das Luisendenkmal oder das Waldemartor. Über die Kirche schreibt er: „Diese wird von keiner in der Grafschaft übertroffen.“
Gut Zernikow
Ich lasse das Stadtbild auf mich wirken und nehme Kurs auf den einladenden, glatten Radweg ohne Autos rechts und links von der Fahrbahn. Am Wegesrand entdecke ich Moor, Birken voller Misteln und Äste, die über der Strecke Torbögen schlagen. Nach Dörfern wie Schulzendorf und Schönermark komme ich nach Zernikow. Dort gibt es ein Gut, dessen ehemaliger Besitzer Michael Gabriel Fredersdorf auf Fontane eine starke Faszination ausübte. Warum? Er züchtete Seidenraupen! Bis heute beherbergt das Gut eine Seidenraupen-Ausstellung, zu der Coronaviren – oder besser gesagt – Politiker Gästen zurzeit den Zugang verwehren.
Naturpark Stechlin-Ruppiner Seenland
Nach Zernikow beginnt der wohl schönste Teil der Tour, denn er führt geradewegs durch den Naturpark Stechlin-Ruppiner Seenland. Der Schwenk nach Neuglobsow gilt als Abstecher auf dem Fontane Radweg. Wenn Du Seen genauso liebst wie ich, empfehle ich Dir, an diesem wunderbaren Fleck Erde Rast zu machen. Der tiefblaue Stechlinsee ist der klarste und tiefste See der Norddeutschen Tiefebene. Er ist von dichtem Wald umsäumt und erinnert mich mit seiner Weite an Finnland. Keine Ahnung, wann ich das Land im Norden wiedersehe. Sicher ist nur, dass ich bald mit meinem Fahrrad ins Ruppiner Seenland zurückkehre (es sei denn, der Zugverkehr wird auch noch eingestellt). Lieber bin ich am Seeufer und im Wald allein als in meiner Wohnung mitten in Berlin.
Rheinsberg
Es fällt mir schwer, mich vom Anblick des Stechlinsees loszureißen! In der Gewissheit, demnächst wiederzukommen, steige ich auf den Sattel und erfreue mich an dem lockeren Ritt nach Rheinsberg. Diesen Ort habe ich in lebhafter Erinnerung, nachdem ich dort im verschneiten März 2013 ein paar romantische Tage verbracht habe. Sieben Jahre später spaziere ich bei frühlingshaften Temperaturen erneut durch den Schlosspark und am Seeufer entlang.
Fontane erzählt in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ vom Rheinsberger Hof oder den beiden Prinzen Friedrich und Heinrich. Außerdem kritisiert er eine fehlende Zugverbindung nach Berlin, womit er anscheinend auf offene Ohren stieß: Seit 1899 ist Rheinsberg ans Eisenbahnnetz angeschlossen.
Ich will aber noch lange nicht zurück. Ehe ich mir einen Eiskaffee „to go“ genehmige und weiterfahre, fallen mir noch Kurt Tucholsky und dessen „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“ ein. Er schildert darin den autobiographisch gefärbten Wochenendausflug eines unverheirateten jungen Paares nach Rheinsberg – im Jahr 1912 ein Skandal, ohne Trauschein zu verreisen! Etwa 100 Jahre später hatten Marko und ich bessere Karten, jetzt feiere ich alle Freiheiten, die mir geblieben sind.
Auf dem Weg nach Neuruppin, der sich durch Wälder und Wiesen schlängelt, gelange ich in einen Fontane-Ort namens Molchow. Den Namen empfand der Literat als düster – womöglich assoziierte er ihn mit Molchen und trübem Wasser. Nichtsdestotrotz mochte er das Dorf so sehr, dass er ihm ein Kapitel in seinen Wanderungen widmete.
Fontane-Geburtsstadt Neuruppin
Nur noch wenige Kilometer trennen mich hier von Neuruppin, wo Fontane im Jahr 1819 das Licht der Welt erblickte. In der strahlend gelben Pfarrkirche wurde er 1820 auf den Namen Heinrich Theodor getauft. 200 Jahre später dürfen dort keine Ostergottesdienste mehr stattfinden. Der Fontane-Statue wurde ein Mundschutz umgelegt. Ob der Schriftsteller diesen Maulkorb gewollt hätte? Oder würde er sich vielleicht im Grabe umdrehen?
Dass sich an der Promenade am Neuruppiner See so viele Menschen von der Sonne bescheinen lassen, erweckt Hoffnung in mir. Ein Café verkauft leckere Cupcakes zum Mitnehmen. Ehe ich mich in den Bummelzug nach Berlin setze, schnabuliere ich ein Himbeer-Küchlein, das ich mir nach einer über 60 Kilometer langen Radtour redlich verdient habe.
Fontane Radweg Neuruppin – Rathenow
Ostersonntag zelebriere ich auf dem Fontane Radweg zwischen Neuruppin und Rathenow. Ich entscheide mich für die Hauptroute Richtung Fehrbellin und Paulinenaue. Auf diesem Streckenabschnitt prägen weite Felder, duftende Wälder, Kanäle und ein paar Teiche das teils flache, teils hügelige Landschaftsbild im Havelland. Ursprünglich handelte es sich um ein Sumpfgebiet, das Kaiser Friedrich I. für den Torfabbau trocken legen ließ.
Auf meinem Weg kreuzen unzählige andere Radfahrer meinen Weg. Wir grüßen uns im Vorbeifahren und wünschen uns frohe Ostern. Offenbar ist ein Teil der Bevölkerung gegen den Virus der medialen Panikmache immun. Wiederholt stoppe ich vor malerischen Kirchen und habe an einem Ortsschild ordentlich was zu lachen: Das Dorf kurz vor Rathenow heißt Kotzen!
Am Etappenziel gibt es einen Fontanepark. Meine Stadtbesichtigung beschränkt sich jedoch auf den kleinen, aber feinen Altstadtkern rund um die Kirche St. Marien und Andreas. Mit dem Regio geht es zurück nach Berlin, am Ostermontag unterbreche meine Abenteuer auf dem Fontane Radweg. Nicht wegen Corona, sondern weil der Wetterbericht ganz einfach Wind und Regen angesagt hat. In den kommenden Tagen wird auf jeden Fall weiter in die Pedale getreten – Fortsetzung folgt! (as)
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Liebe Anna,
und …
beinahe hätte wir uns am Stechlinsee getroffen,
Die Schilderung Deiner Tour macht Lust immer wieder in die Mark Brandenburg zu radeln, um dort Natur und Architektur zu genießen. Und dann, sobald mir Flügel auf dem Rennrad wachsen, schwebe ich wie ein Falke durch die duftenden Flure der Erde.
Lieben Dank für Deinen Ausblick.
Herzlichst, Doreen Malinka. ❤
Hallo Doreen,
wer weiß, vielleicht treffen wir uns dort demnächst. 🙂
Liebe Grüße,
Annika