Wegen der Coronakrise ist mein Wanderurlaub auf Mallorca ins Wasser gefallen. Noch am Morgen des 15. März sage ich „F*ck Corona“ und glaube, 24 Stunden später im Flieger nach Palma zu sitzen. Schließlich hat Easyjet meinen Flug nicht abgesagt. Als ich dann erfahre, dass am 16. März in Spanien eine Ausgangssperre verhängt wird und mein Rückflug am 23. März gestrichen worden ist, habe ich nur noch eine vernünftige Wahl: in Berlin bleiben und das letzte bisschen Freiheit auskosten.
Angst vor dem Coronavirus ist mir fremd – Grippewellen und Magen-Darm-Geschichten haben seit meiner Kindheit einen großen Bogen um mich gemacht. Angst macht mir nur die von oben aufgebürdete Freiheitsberaubung. Wenn ich nun zurückblicke, erlebe ich trotz aller Maßnahmen eine wunderschöne Woche, in der ich die Natur in Berlin und Brandenburg noch mehr zu schätzen lerne als ohnehin schon. Allein mit mir selbst und mit Sicherheitsabstand zu anderen Menschen.
Wanderungen während der Coronakrise
Flakensee-Umrundung ab Erkner
Nachdem ich am Morgen im Supermarkt ziemlich entsetzt Hamsterkäufer mit Klopapier und fünf Flaschen Duschgel auf einmal beobachtet habe, trete ich mit der S-Bahnlinie 3 die Reise nach Erkner an. Ich weiß, dass es am Rande der Kleinstadt östlich von Berlin viele Seen gibt, seit jeher zieht es mich ans Wasser. Komoot schlägt eine Rundwanderung am Flakensee vor. Ich lasse mich von Google Maps zum Ufer lotsen und durchquere erst einmal eine Wohnsiedlung.
Am Ortsausgang von Erkner biege ich links auf einen Wanderweg ab. An einem Kanal leitet er mich geradewegs zum Flakensee. Ich folge dem Uferweg nach Woltersdorf, lausche dem Gezwitscher der Vögel, atme tief durch und fühle mich wieder freier. Schwäne und Enten ziehen friedlich ihre Bahnen, sogar Zitronenfalter schwirren schon durch die Luft. In dieser Idylle, wo die Coronakrise weit entfernt scheint, picknicke ich mit Blick aufs Wasser.
Im malerischen Woltersdorf haben am 16. März noch ein paar Lokale geöffnet. Ich spaziere an den Restaurants und an der Schleuse vorbei und lasse mich von meinem Navi durch den Ort zurück zum bewaldeten Seeufer lotsen. Ich erfreue mich am blauen Himmel, den Spiegelungen auf dem Wasser und bin trotz der Mallorca-Pleite mit mir selbst im Einklang.
Paul-Gerhardt-Weg ab Grünau
Am nächsten Tag beschließe ich, die dritte Etappe des Paul-Gerhardt-Wegs ab Berlin-Grünau zu wandern. Sie beginnt am Langen See an der Anlegestelle der BVG-Fähre in der Regattastraße und endet in Zeuthen. Hier hat man zwei Optionen: Entweder man nimmt den Weg auf der Grünauer oder auf der Köpenicker Seite. Bleibt man am Ufer in Grünau, befindet sich der Wanderweg auf dem Dahme-Radweg, so dass einem immer wieder Radfahrer in die Quere kommen können.
Dass die Fähre bei meiner Ankunft in der Regattastraße abfahrbereit ist, deute ich als Zeichen, dass ich an Bord gehen soll. Ich setze über und erreiche eine idyllisch gelegene Wohnsiedlung. Als ich die schmucken Häuser hinter mir gelassen habe, wandere ich kilometerweit nur durch den Wald am Ufer des Langen Sees. Noch ist der Himmel wolkenverhangen, die frische Luft klärt meine Gedanken.
Um den Paul-Gerhardt-Weg fortzusetzen, müsste ich in der Nähe des Camping-Platzes Kuhle Wampe wieder eine Fähre der BVG nutzen. Ein Schild signalisiert mir jedoch, dass das Boot bis zum 4. April Winterpause hat. Also erneut eine Planänderung, diesmal nicht wegen Corona: Ich bleibe auf dem Wanderweg an der Großen Krampe und entdecke einen tollen Sandstrand, wo ich mich gegen einen Baum lehne und Picknick mache. Dicke Baumstämme am Rücken vermitteln mir ein Gefühl von Geborgenheit. Ich sauge die positive Energie der Natur in mich auf und alles ist gut.
In Müggelheim sehe ich Holzhäuser, die mich an Skandinavien erinnern. Gerne würde ich mich in einen finnischen Wald an einen See zurückziehen und in der Abgeschiedenheit die sogenannte Coronakrise aussitzen. Dass die Naturlandschaften in Berlin und Brandenburg Ähnlichkeiten aufweisen, tröstet mich ein wenig.
Die Änderung des Weges lässt mich die hügeligen, bewaldeten Müggelberge entdecken. Google Maps hilft mir bei der Orientierung Richtung Müggelsee. Ehe ich dort ankomme, meditiere ich auf dem Waldboden liegend und lande anschließend in einem Berliner Sumpf. Nein, kein Club (die wegen Coronavirus eh alle geschlossen sind), ein echtes Sumpfgebiet am Teufelssee von Köpenick (nicht zu Verwechseln mit dem Teufelssee im Grunewald). Holzstege überbrücken das Moor am Seeufer. Birken ragen aus dem Schlamm. Ich staune und mir ist klar, dass ich diese Naturlandschaft ohne die allgemeine Corona-Panik wohl nicht so schnell ausfindig gemacht hätte.
Dann überquere ich eine Hauptstraße und halte mich links am Ufer des Müggelsees, wo duftende Frühlingsblüten sprießen. Etwa drei Kilometer liegen noch vor mir, ehe mich der Spreetunnel nach Friedrichshagen und zum S-Bahnhof bringt.
Radtour auf dem Dahme-Radweg
Am 18. März ist mein Geburtstag und es ist so warm geworden, dass ich mein Fahrrad aus dem Keller hole. Der Dahme-Radweg ab Grünau hat mich inspiriert, darauf eine Radtour zu machen, allerdings ab Königs Wusterhausen. Bei Gegenwind radele ich unter dem strahlend blauen Himmel nach Süden Richtung Prieros. In dieser Gegend zeigen sich mir ein Land der tausend Seen und viele bewaldete Abschnitte.
Ein Picknick am Wasser gehört schon fast zum Pflichtprogramm meiner Berlin-Brandenburg-Wanderreise. Jeden Tag begegnet mir das Krafttier Schwan und im Naturpark Dahme-Heideseen könnte ich mich noch stundenlang aufhalten. Ich strampele aber zurück nach Königs Wusterhausen, weil ich den Abend mit meinem Kumpel Nils verbringe. Eine größere Feier fällt wegen der Coronakrise aus, trotzdem bin ich glücklich an meinem Geburtstag.
Rundwanderung am Seddiner See
Der Berliner Südosten ruft erneut! Zwei Tage zuvor habe ich beim Mittagessen im Schatten des Baumes ans andere Ufer der Großen Krampe geblickt. Nun starte ich meine Wanderung in Müggelheim und gehe dorthin. Während ich am Wasser entlang marschiere, fallen mir Unmengen von Sturmschäden auf. Am Seddiner See sehe ich noch mehr umgeknickte und entwurzelte Bäume. Ich bin erschüttert von dieser möglichen Konsequenz des Klimawandels – auch darüber, dass momentan nur noch über den Coronavirus debattiert wird. Nichtsdestotrotz beschert die Krise der Natur eine Verschnaufpause. Durch ein Waldstück bahne ich mir den Weg zurück nach Müggelheim.
Spaziergang in der Haveldüne
Den Freitag widme ich am Nachmittag einer Gegend am westlichen Berliner Stadtrand. Im Stadtteil Gatow tauche ich in den Rieselfeldern der Haveldüne ab. Von dort könnte ich bis nach Spandau vordringen, beschränke mich aber auf die Feldwege, an deren Rändern knorzige Bäume stehen. Die Feldlandschaft ist von Gräben durchzogen. Frühlingshaft blühende Sträucher scheinen an einer Stelle einen Torbogen zu bilden. Ich inhaliere den Duft und stelle mir vor, durch ihn hindurch in eine Welt voller Naturwesen zu schreiten. Hier und da entdecke ich Spuren von Hufen, denn am Rande der Haveldüne gibt es einen Reiterhof.
Von Kladow nach Sacrow und zurück
Schon öfters war ich hinter der Stadtgrenze von Berlin am Sacrower See, der im Sommer einer meiner Lieblingsorte zum Baden ist. Dieses Mal lasse ich mein Fahrrad zu Hause und steige am Ortsausgang von Kladow zum Ufer der Havel hinab. Im Wald wachsen Teppiche aus leuchtend grünem Bärlauch. Am Flussufer führt der Waldweg bis zum Dorf Sacrow, das zu Potsdam gehört. Nach einem kleinen Streifzug zur Sacrower Heilandskirche und durch den Schlosspark tanke ich am Sacrower See etwas Vorfreude auf zukünftige Badeausflüge. Am Uferweg sprießt noch mehr Bärlauch. Irgendwann mache ich einen Schwenker nach links, um wieder nach Kladow zu gelangen.
Große Potsdam-Wanderung
Statt Palma de Mallorca steht zum Abschluss meiner Wanderreise spontan Potsdam auf der Agenda. Inzwischen dürfen Menschen wegen der Coronakrise nur noch einzeln oder zu zweit vor die Tür gehen – immer mit anderthalb bis zwei Meter Sicherheitsabstand. Anscheinend hält sich jeder daran und erfreut sich an den immer intensiver werdenden Farben und dem wolkenlosen Himmel.
Mich verschlägt es in den Park Babelsberg. Am Havelufer genieße ich eine tolle Sicht auf Schloss Babelsberg und die Glienicker Brücke, die Potsdam und Berlin verbindet und vor der Wende nur von Diplomaten und Spitzeln passiert werden durfte. In der neuen Zeit der Unfreiheit fühle ich mich selig, sie zu überqueren und meine Tour im Neuen Garten am Heiligen See fortzusetzen. In dieser Gegend gibt es prunkvolle Villen, hier lebt und arbeitet zum Beispiel der Modedesigner Wolfgang Joop. Ich lasse mich zurück in die Potsdamer Innenstadt treiben und bin beseelt, dass mir die Natur in der Ausnahmesituation so viel Schönes geschenkt hat. (as)
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